Sitzenbleiben nicht pauschal ausschließen
Manch ein Schüler wird ohne Leistungsanreiz scheitern
Nicht versetzt. Wie ein Damoklesschwert hängt dieses Unheil über ganzen Generationen von Schülern. Doch diese Epoche könnte bald enden. Hamburg und Berlin haben das Sitzenbleiben weitgehend abgeschafft, in etlichen Bundesländern gibt es entsprechende Modellprojekte, und jetzt zieht auch die künftige rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen nach. Aber ist die pauschale Abschaffung der „Ehrenrunde“ wirklich der Weisheit letzter Schluss? Gerade bei diesem Thema ist reine Schwarz-Weiß-Malerei fehl am Platze.
Fraglos gibt es für die Abschaffung einige nachvollziehbare Gründe. Dafür spricht zum Beispiel der verringerte psychologische Druck, das Ende der „sozialen Stigmatisierung“, auch und vor allem für die Familien. Zudem kostet Sitzenbleiben den Steuerzahler jede Menge Geld — eine Milliarde Euro pro Jahr, so hat es der Bildungsforscher Klaus Klemm einmal errechnet. Hinzu kommt wohl eine weitere Milliarde, die die Eltern für Nachhilfeunterricht aufbringen.
Wie so oft muss jetzt das Pisa-Vorzeigeland Finnland herhalten, wo es kein Sitzenbleiben gibt. Gerne wird aber verschwiegen, dass dort der Unterricht ein völlig anderer ist und den Schwachen ein ganzes Heer von Lehrern, Sozialarbeitern und anderen Experten zur Seite gestellt wird. Die individuelle Förderung dort lässt sich nicht einfach auf deutsche Verhältnisse übertragen.
Die Lösung ist eine sensible Herangehensweise. Schon heute wird zum Beispiel an den Schulen der Sekundarstufe I in NRW die Nichtversetzung sehr behutsam angewandt. Viele Schüler werden auch ohne Versetzung, gemeinsam mit dem Klassenverband, in die nächsthöhere Klasse mitgenommen. Dort können sie die Versetzung sozusagen nachholen.
Aber wir müssen uns auch eingestehen, dass viele Schüler ohne diesen letzten Leistungsanreiz vollständig aus der (Schullauf-)Bahn geworfen würden. Eine Klassenwiederholung ist eine Niederlage, aus der ein Mensch für sein späteres Leben lernen kann.
Schule bereitet nicht aufs Leben vor, wenn sie ein kuschelpädagogisches Refugium ist, sondern wenn sie Anreize zur Leistung schafft. Und wen es tröstet: Auch Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Albert Einstein oder Richard Wagner hat eine „Ehrenrunde“ nicht geschadet.