Wie sind Sie selbst zum Rap gekommen?
Buchtipp HipHop-Geschichte in „Almanya“
Köln · „Remix Almanya“ schreibt die Geschichte des HipHop in Deutschland neu. Die beiden Autoren, der Frankfurter Murat Güngör und der Kölner Hannes Loh, begraben „Deutschrap“ und untersuchen in ihrem Buch die größte Popkultur des Landes als postmigrantisches Phänomen, das Deutschland für immer verändert hat.
Dabei kommen auch bekannte Rapper wie der Kölner Eko Fresh zu Wort. Wie haben die beiden Autoren zum Interview getroffen, die auch ihren Blick auf die Kölner HipHop-Szene werfen.
Hannes Loh: Rap hörte ich mit 14 zum ersten Mal. Damals war ich in meiner Heimatstadt Iserlohn einer der wenigen, der diese Art von Musik gut fand. Aber über den Rap lernte ich im Jugendzentrum Leute kennen, denen ich sonst vermutlich nie begegnet wäre. Da waren vor allem Kinder der ersten Gastarbeitergeneration unterwegs. Für mich war HipHop eine Jugendkultur, die mich prägte, bereicherte und die mir neue transnationale Lebenswelten erschloss.
Murat Güngör: Ich kam zunächst über Breakdance mit HipHop in Berührung. US-Musiker wie Prince oder Michael Jackson prägten mich. Breakdance war für mich cool, hip und neu. Gruppen wie die Rock Steady Crew begeisterten mich für das Tanzen. Mich beeindruckte es, wie man aus einer Randständigkeit heraus selbst Stärke entwickeln und gleichzeitig Anerkennung bekommen konnte. Mit Freunden unternahmen wir unsere ersten Schritte beim Rap und traten dann auch in Jugendzentren auf. Später kam dann in Frankfurt der Kontakt zu schwarzen G.I.´s und dem US-Projekt „Stop the Violence“, dass sich Anfang der 90er gegen Gangrivalität und Gewalt einsetzte. Diese Kooperation führte uns zu gemeinsamen Konzerten in den damaligen US-Kasernen in Frankfurt. HipHop erlebte ich hier als eine transnationale Brücke. Ohne diese Kultur hätte es diesen Austausch mit schwarzen US-Soldaten für mich und meine Partner niemals gegeben. Mit der deutschen Wiedervereinigung hat sich auch die HipHop-Szene in Deutschland verändert.
Was hat sich in der deutschen HipHop-Szene und für Sie persönlich verändert?
Loh: Ich bin noch in den 80er und in den frühen 90er Jahren mit Old-School-Rap groß geworden, der transnational funktionierte und der einen wichtigen multilingualen Raum schuf. Später setzte sich dann der „Deutschrap“ mit den Fanta 4 und einem deutschen, weißen Narrativ durch. Dass eine ursprünglich schwarze Kultur, die eigentlich Minderheiten empowert, zu einem weißen bürgerlichen Phänomen wird, ist eine Besonderheit der Entwicklung von Rap in Deutschland. Die transnationale Rap-Community stand so in den 90er Jahren auf einmal auf der Schattenseite.
Güngör: Mit der Almanisierung des Raps standen alle, die nicht in die Kategorie „Deutschrap“ passten, auf einmal wieder am Rand der Szene. Die Art von Rap, die ich oder Crews wie Microphone Mafia, Islamic Force, Aziza A. oder auch Cartel machten, bekam den Stempel „Oriental-Rap“. Uns wurde dadurch eine Fremdartigkeit zugeschrieben, die so nicht existierte, da wir uns als ein Teil der Szene sahen. Insofern konnten wir nicht von der Kommerzialisierung der Rapmusik ab Mitte der 90er profitieren und wurden gleichzeitig aus ihr herausgeschrieben.
Loh: Diesen Widerspruch und die Situation, in der Migrantinnen und Migranten ausgeschlossen und unsichtbar gemacht wurden, die in den 80ern noch Größen in Sachen HipHop waren, thematisieren wir auch in unserem Buch „Remix Almanya“.
Sie haben vor gut 20 Jahren das Buch „Fear of a Kanak Planet - HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap“ veröffentlicht. Was hat sich jetzt beim neuen Buch „Remix Almanya“ verändert?
Güngör: Wir lernten bei unseren Lesereisen mit dem ersten Buch stetig dazu. Viele Annahmen konnten wir so nicht mehr halten. So konnten wir viele Schätze der Gastarbeitergeneration aus den 60er und 70er Jahren bergen, die zum Beispiel für die Entwicklung von Rappern wie Xatar oder Haftbefehl zentral waren. Da geht es sowohl um das Empowerment der Eltern und Großeltern als auch um das kulturelle Gedächtnis der HipHop-Szene. Wir befreien Rapperinnen und Rapper von ihrer Geschichtslosigkeit und setzten dies in eine historische Linie. Auch setzten wir die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen stärker in den Kontext zur Entwicklung des HipHop in Deutschland. So schrieben wir mit unserem Buch die erste politische Geschichte des HipHop, die sich über eine Zeitspanne von gut 40 Jahren erstreckt. Es ist eine Geschichte des permanenten Ein- und Ausschlusses, die sich bis heute zeigt. Stärker in den Fokus nahmen wir auch die Rolle von Frauen als Rapperinnen, die sich empowern und gleichzeitig das hegemoniale männliche Narrativ im Rap ins Wanken bringen.
Heute werden Szene-Begriffe wie „Digga“ von fast allen jungen Menschen verwendet. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Loh: Früher haben sich weiße, bürgerliche Jugendliche über Menschen mit einem Migrationshintergrund lustig gemacht und ihre Sprache entsprechend imitiert. Das war auch bei Prominenten wie den Comedians Mundstuhl oder Erkan & Stefan der Fall, die damit wiederum bei einem weißen, bürgerlichen Publikum sehr erfolgreich waren. Mit der aktuellen erfolgreichen transnationalen Rapper-Generation und deren Pionieren wie Haftbefehl oder Xatar hat sich das grundlegend geändert. Das sind inzwischen für sehr viele Jugendliche echte Idole, deren Sprache man übernimmt, weil man es cool findet und weil man so sein will, wie diese Stars. Insofern ist eine ganz neue Jugendkultur und -sprache entstanden.
Güngör: Sprache ist kein Eigentum. Es kommt immer darauf an, wie man sich in Beziehung zu neuen sprachlichen Strömungen setzt. Die Spannbreite liegt hier zwischen kultureller Aneignung bis zu einem respektvollen Ansatz des sozialen Miteinanders über ethnische Grenzen hinweg. Es kommt dabei immer auf den Kontext der Aneignung an. Ein gutes Beispiel ist hier der weiße Rapper Curse, für den dieses Sprechen Teil seiner eigenen Lebensrealität ist. Dieses multilinguale Sprechen ist kein randständiges Phänomen mehr, sondern die prägende Jugendsprache. Hier wird grundlegend deutlich, dass das neue Normal eine multilinguale Realität in Almanya ist. Dies bringt auch die Vorstellung einer homogenen nationalen Identität ins Wanken. Die postmigrantische HipHop-Geschichte umfasst weiße bürgerliche Rapper genauso wie die Kinder und Enkelkinder der Gastarbeiter oder auch geflüchtete Menschen. Das macht für mich den inklusiven Charakter des HipHop aus und zeigt zudem, dass Deutschland endgültig zu einem Einwanderungsland geworden ist. Wichtig ist aber auch, zu erkennen, dass diese Geschichte auch Brüche und Widersprüche aufweist, wie Themen wie Sexismus und Rassismus zeigen.
Wie beurteilen Sie die Perspektiven des HipHop in Deutschland?
Loh: HipHop war und ist kein friedvolles Happyland, aber es ist eine Kultur des Dialogs und auch weiter eine Möglichkeit, um auf sich und die eigenen Positionen aufmerksam zu machen. Die Rapper reflektieren die aktuelle Situation und entwickeln sich durch den Dialog weiter. Es gibt immer wieder neue Fragestellungen, wenn zum Beispiel non-binäre Personen oder junge Frauen Teil der Szene werden und ihren Finger in offene Wunden legen. Auch die „MeToo“-Bewegung sorgte dafür, dass Sexismus im Rap nicht mehr durchgewunken wurde. Diese wichtigen Entwicklungen der letzten Zeit wurden oft von Frauen angestoßen. Gerade das Schreiben über Rap war oft auch ein männliches Schreiben, das meist unkritisch daherkam. Diese Leerstelle wird derzeit selbstbewusst von Frauen übernommen, die kritische Lernprozesse im Rap anstoßen. Und das ist etwas, das HipHop groß macht und zeigt, welches Potenzial darin steckt.
Welche Bedeutung hat eine Stadt wie Köln für den HipHop?
Loh: Köln war in den 60er und 70er Jahren ein Epizentrum für die migrantische Musik. So entstand das erste Independent-Label Türküola am Hansaring, die erste deutsche unabhängige Plattenfirma die türkische Musik produzierte und eigene Vertriebsstrukturen aufbaute. Türküola wurde dadurch zur Blaupause für die zahlreichen Rock-, Punk- und auch Rap-Lables, die sich später gründeten. Allerdings ist diese Geschichte im Mainstream immer noch nicht präsent. Wir wollen diese Leerstellen mit unserem Buch schließen und Verbindungslinien ziehen.
Güngör: Und noch vor Aggro Berlin entstand in Köln ein legendäres HipHop-Label wie MZEE Records, über das viele Old-School-Größen der Szene ihre Musik veröffentlichten. Wichtig war auch die Kölner Musikmesse Popkomm, über die viele junge Rapper gefördert wurden. Dazu kommen in Köln lebende Stars wie Eko Fresh, dessen Vater als Musiker schon eine große Bedeutung hatte.
Murat Güngör und Hannes Loh - Eine postmigrantische HipHop-Geschichte, Hannibal-Verlag, 400 Seiten, 27 Euro