Gastprofessorin an der Heinrich-Heine-Universität „Das ist keine legitime Kritik, sondern Judenhass“
Düsseldorf · Charlotte Knobloch spricht als Gastprofessorin an der Heine-Uni schonungslos über die Lebenswelt von jüdischen Menschen in Deutschland. Trotz aller Rückschläge ruft sie auf zu Mut und Patriotismus.
Als Charlotte Knobloch den Vorlesungssaal betrat, standen 650 Menschen auf. Sie ist Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende, sie ist ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, nun ist sie auch Gastprofessorin an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Allem voran ist sie eine unerschütterliche Optimistin. Eine Frau, die stehende Ovationen bekommt, bevor sie beginnen kann.
Die 92-Jährige übernimmt in diesem Wintersemester die Heinrich-Heine-Gastprofessur und hat am Donnerstag ihre erste von zwei Vorlesungen gehalten. Darin sprach sie schonungslos über die veränderte Lebenswelt von jüdischen Menschen in Deutschland.
Knobloch überlebte
die Nazi-Zeit nur knapp
Charlotte Knobloch wurde 1932 in München geboren und erlebte als Kind, wie die Nationalsozialisten die Macht ergriffen. Sie überlebte nur, weil ihr Vater sie als uneheliches Kind ausgab und versteckte. Ihr Vater Fritz Neuland blieb nach Ende des Kriegs in München und gründete dort noch 1945 die Israelitische Kultusgemeinde neu. Er sei Patriot gewesen, sagte Charlotte Knobloch, so wie auch sie sich für einen gesunden Patriotismus ausspreche. „Ich stehe vor Ihnen als stolze Deutsche“ – so hatte sie eine Rede zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag eingeleitet. Denn nur wer sein Land liebe, so Knobloch, könne sich wachsam und wehrhaft für freiheitliche und demokratische Werte einsetzen.
Sie beobachte in den vergangenen Jahren jedoch eine Verschiebung. Das Judentum in Deutschland hätte ab den 1980er-Jahren neuen Mut und neues Selbstbewusstsein gefasst, sei nach und nach aus den abgelegenen Viertel wieder hervorgekrochen. 2006 eröffnete sie in München mit ihrer Gemeinde ein Zentrum mitten in der Stadt, sichtbar für alle. „Jahrzehntelang haben wir auf gepackten Koffern gesessen“, sagte Knobloch. Doch dies sei der Anbruch einer neuen Epoche für jüdisches Leben in Deutschland gewesen. „In Deutschland angekommen“, so betitelte sie ihr Buch, das im Jahr 2012 erschien.
Doch nun stehe hinter diesem Titel ein Fragezeichen. In den vergangenen Jahren hätten sich die Debatten verschoben, sagt Knobloch. Jüdische Menschen müssten verbale Anfeindungen in einer neuen Präsenz und Qualität erleben, von allen Seiten höre sie die „Kreischer“, wie Charlotte Knobloch sie nennt. Dafür habe es keinen „importierten Antisemitismus gebraucht“, betont sie.
Und dann kam der 7. Oktober 2023, der Tag, an dem die Hamas Israel angriff und Hunderte Menschen tötete. Als Erdbeben bezeichnete Charlotte Knobloch diesen Tag. „Bis heute hat die Erde nicht aufgehört zu beben.“ Erlebte sie in Deutschland zunächst eine Welle der Solidarität, sei diese mittlerweile einer einseitigen Israel-Kritik gewichen, so Knobloch. Dieser verengte Blick blende aus, wer den Krieg begonnen habe und wer ihn durch Freilassung der Geiseln sofort beenden könne. Er führe zu einer Täter-Opfer-Umkehr. „Das ist keine legitime Kritik, sondern Antisemitismus und Judenhass“, sagte die 92-Jährige.
Keine Woche vergehe ohne Angriffe auf jüdische Menschen. Viele gäben sich in der Öffentlichkeit nicht zu erkennen, bestellten Pakete unter falschen Namen, um nicht aufzufallen. Sie versteckten sich wieder. „Wenn jüdische Menschen mich fragen, ob sie gehen oder bleiben sollen, dann antworte ich: Ich kann beides verstehen.“
Doch Charlotte Knobloch möchte die Optimistin bleiben, die sie schon immer war. Sie habe vor 75 Jahren den Beginn der Demokratie erlebt. Sie habe geglaubt, dass Deutschland eine Heimat für jüdische Menschen sein könne. Nun schwebten Fragezeichen überall. „Doch ich bin nicht bereit, mich geschlagen zu geben“, so Knobloch. Sie appellierte an den Mut, um für freiheitliche Werte und die Demokratie einzustehen. „Damit aus Fragezeichen wieder Ausrufezeichen werden. Dann können wir wieder stolz sein.“
Als Charlotte Knobloch den Vorlesungssaal verließ, standen erneut 650 Menschen auf. Sie winkte zum Abschied mit beiden Händen und begrüßte dann ihren Hund Ruben, der auf sie wartete, als sei sie tagelang weggewesen.