IHK Düsseldorf-Präsident Andreas Schmitz „Unternehmen müssen ihre Ansprüche an Azubis abrüsten“

Interview | Düsseldorf · Der IHK-Präsident über Schwächen am Ausbildungsmarkt, die Stärke Düsseldorfs – und Frauen auf der Bühne.

 Andreas Schmitz, Präsident der IHK Düsseldorf: „Der Rekord bei den Gewerbesteuer-Einnahmen ist Ausdruck unserer Wirtschaftskraft.“

Andreas Schmitz, Präsident der IHK Düsseldorf: „Der Rekord bei den Gewerbesteuer-Einnahmen ist Ausdruck unserer Wirtschaftskraft.“

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Im obersten Stock des Gebäudes der Industrie- und Handelskammer (IHK) Düsseldorf residiert der Präsident: Andreas Schmitz, 63 Jahre alt, seit 2016 Träger des höchsten Ehrenamtes der IHK. Bevor er sich per Taxi zum Mittagessen mit dem chinesischen Generalkonsul fahren lässt, treffen wir ihn in seinem Eckbüro zum Jahresgespräch.

Herr Schmitz, wenn Düsseldorf eine Aktie wäre: Wie hätte sich der
Wert 2023 entwickelt?

Andreas Schmitz: Schaut man sich die Einnahmen der Stadt an, wäre der Aktienkurs gestiegen. Dieses Jahr hat Düsseldorf mehr als 1,5 Milliarden Euro Gewerbesteuern eingenommen – Rekord.

Wer sind die größten
Gewerbesteuer-Zahler
in Düsseldorf?

Schmitz: Das weiß ich nicht. Und wenn, dürfte ich es Ihnen nicht sagen. Telekommunikations-Unternehmen gehören dazu, aber auch Wirtschaftsprüfungen, Kanzleien, Beratungen, der Handel und industrienahe Dienstleistungen. Die Höhe der Gewerbesteuern ist ein Ausdruck unserer Wirtschaftskraft.

Woher rührt diese Stärke?

Schmitz: Die Düsseldorfer Wirtschaft lebt von einem extrem guten Branchenmix und ist daher deutlich robuster als ähnlich große deutsche Städte.

Aber wir mussten dieses Jahr auch viel über Insolvenzen in Düsseldorf berichten, vor allem im Immobilienbereich.

Schmitz: Düsseldorf hat viele Baustellen gleichzeitig begonnen, was ja eigentlich positiv ist, denn dann wird man auch schneller fertig. Aber in der aktuellen Immobilienkrise gilt eben das Sprichwort: Erst bei Ebbe sieht man, wer eine Badehose anhat. Bau-Pläne aus der Zeit des billigen Geldes und großzügiger Kreditvergabe wackeln, weil die Zinsen schnell und stark gestiegen sind, die Baukosten immer weiter steigen und Investoren lieber auf ein niedriges Preisniveau warten, statt zu investieren. Es wird dauern, bis sich das – auf deutlich geringerem Niveau – wieder einspielt. Deswegen ist es so wichtig, dass sich die Stadt aktiv einbringt. Die Stadtspitze ist jetzt gefordert.

Unternimmt der OB bei einem Prestige-Projekt wie dem Carsch-Haus genug, um den Baustopp schnellstmöglich zu beenden?

Schmitz: Ich finde: Ja. Und ich bin zuversichtlich, dass es bald weitergehen wird.

Hat sich die Stadt bei den vielen Bau-Projekten übernommen?

Schmitz: Die ehemalige und die heutige Stadtspitze hat zu viele Eier in einen Korb gelegt. Die Immobilien-Gruppen Centrum und Signa haben jeweils eine Handvoll Grundstücke in Top-Lagen gekauft und dort große Projekte geplant. Doch jetzt kämpfen beide mit Insolvenzen.

Aber das war vor einigen Jahren noch nicht absehbar. Und beide Unternehmen haben sich bei der Planung an alle Vorgaben gehalten, die Stadt hätte die Vorhaben also kaum verhindern können.

Schmitz: Jeder Investor geht auf die Stadtverwaltung zu, um vor einer großen Investition Dinge abzusprechen. Rückblickend betrachtet hätte die Stadt bei dem ein oder anderen Projekt vorsichtiger sein können. Aber umgekehrt zeigen all diese Projekte eben auch, dass Düsseldorf einer der attraktivsten Standorte in Europa ist.

Woran machen Sie das fest?

Schmitz: Düsseldorf hat ein riesiges Einzugsgebiet, allein der Regierungsbezirk hat mehr als fünf Millionen Einwohner und ist damit der dichtbesiedelste in Deutschland. Hinzu kommen Menschen aus den Niederlanden und Belgien, die gerade jetzt an Weihnachten die NRW-Landeshauptstadt erleben wollen. Einkaufen, Kultur, kurze Wege und alles nicht weit vom Zentrum zum Bahnhof oder Flughafen: Das sorgt auch für viele wirtschaftliche Neuansiedlungen aus dem Ausland. Mehr als 15 000 der knapp 95 000 Unternehmen im IHK-Bezirk sind international. Wegen des Brexits bildet Großbritannien seit Neustem die größte Gruppe, danach kommen China und Japan. Die chinesische Wirtschaft wächst, Düsseldorf ist die größte chinesische Wirtschaftskolonie in Deutschland. Mit immer mehr Unternehmen aus Indien, Malaysia, Indonesien und Südkorea sind wir ein Asien-Zentrum geworden.

Woran hat die IHK im Jahr 2023 am härtesten gearbeitet?

Schmitz: Ganz klar: am Thema Ausbildung. Der ewige Kampf, junge Menschen nach der Schule von einer Berufsausbildung zu überzeugen, wird schwieriger. Dabei sind Fachkräfte so wichtig für uns, sonst werden Projekte wie die Energiewende niemals umgesetzt werden.

Diesen Satz höre ich in fast jeder Sonntagsrede. Die Frage ist: Welche Maßnahmen helfen, die Zahl der Auszubildenden zu steigern?

Schmitz: Es gibt zwei Wege. Erstens müssen Sie die jungen Menschen viel früher abholen. Nicht erst kurz vor dem Abitur oder der Mittleren Reife, sondern schon in der achten und neunten Klasse. Und Sie müssen an die Eltern ran. Denn die haben immer noch einen großen Einfluss auf Ihre Zöglinge. Das Zweite ist: Unternehmen müssen bei ihren Ansprüchen an Azubis abrüsten.

Warum das?

Schmitz: Sie sehen es an den Ergebnissen der jüngsten Pisa-Studie: Deutsche Schüler schneiden im internationalen Leistungsvergleich so schlecht ab wie noch nie. Wenn da ein Unternehmen noch die gleiche Qualität wie früher verlangt, ist das illusorisch. Mit Tugenden wie Fleiß, Zuverlässigkeit und Selbstständigkeit können die jungen Leute aber in einem Unternehmen punkten und eventuelle, schlechte Zeugnisnoten ausgleichen. Außerdem schließen Bewerber meist mehrere Ausbildungsverträge ab, um sich erst spät entscheiden zu müssen. Über all das kann man klagen – oder sich anpassen. Indem man offensiver wirbt, die Hürden bei der Bewerbung senkt und Azubis schon vor dem ersten Arbeitstag ins Unternehmen einführt, um eine Identifikation zu schaffen. Die zentrale Botschaft lautet: Das Studium ist nicht das Allheilmittel für ein erfolgreiches Berufsleben.

Sie haben drei Kinder. Haben die eine Berufsausbildung gemacht?

Schmitz: Nein. Ich habe meine Kinder auch nicht in irgendeine Richtung gedrückt. Zwei meiner Söhne zum Beispiel sind nach ihrem Studium dem Vater in die Welt der Banken gefolgt.

Aber wenn jetzt Unternehmen abrüsten sollen, um Azubis zu finden: Ist dann die Ausbildung überhaupt noch auf Augenhöhe mit einem Studium oder nicht eher ein Berufsweg zweiter Klasse?

Schmitz: Als Lehrling oder Azubi habe ich den großen Vorteil, dass ich viel früher ins Berufsleben einsteige – und damit praktische Erfahrung sammle, die auf dem Arbeitsmarkt mehr wert ist als ein Abschluss an der Universität. Unternehmen profitieren davon und sollten für Schüler mehr Praktika anbieten, um ihnen die Ausbildung schmackhaft zu machen. Außerdem könnten wir den Fachkräftemangel lindern, wenn wir nicht so versessen auf die deutsche Sprache wären.

Wie meinen Sie das?

Schmitz: In vielen Unternehmen wird die Relevanz von Deutschkenntnissen überbewertet. Dabei spricht man in der IT grundsätzlich Englisch, und für manche handwerkliche Tätigkeiten brauchen Sie gar nicht so viele Sprachkenntnisse. Wenn wir da flexibler wären, würde das gerade Geflüchteten helfen, schneller am deutschen Arbeitsmarkt anzukommen.

Der Schlüssel zur
Integration ist die Sprache.

Schmitz: Und wo lernt man die am besten? Sicherlich nicht als Arbeitsloser im Flüchtlingsheim, sondern in der Zusammenarbeit mit anderen. Learning by doing. Mir hat neulich noch der ukrainische Botschafter gesagt, dass viele deutsche Unternehmen ein Sprachniveau fordern, das so hoch ist wie bei Botschaftsmitarbeitern. Da fragt man sich doch, ob das denn wirklich notwendig ist.

Schauen wir zum Schluss noch auf den traditionellen IHK-Neujahrsempfang im Januar. Welches Programm erwartet die rund 1200 Gäste?

Schmitz: CDU-Chef Friedrich Merz wird die Keynote halten. Und dann gibt es noch eine Gesprächsrunde zum Thema Kommunalfinanzen.

Beim IHK-Empfang 2023 gab es auf der Bühne nur eine einzige Frau – die Moderatorin. Und alle Protagonisten waren älter als 49, somit wurde nur ein Teil der Gesellschaft abgebildet. Haben Sie auf die Kritik daran reagiert?

Schmitz: Ehrlich gesagt fand ich das gar nicht so schlimm. Uns geht es darum, das beste inhaltliche Angebot für das Publikum zu bieten. Dieses Jahr wird in der Gesprächsrunde eine Frau dabei sein, und ja, auch Menschen unter 50. Entscheidend für mich ist aber nicht die Ausgewogenheit bei Geschlecht oder Alter, sondern bei den Meinungen.