Jüdisches Leben in Deutschland Gemeinsames Erinnern an die Opfer des Holocaust
<irglyphscale style="font-stretch 9775%;">Kempen </irglyphscale> · Anlässlich des Holocaust-Gedenktages wurden in Kempen am Montagabend erstmals 89 Namen von Menschen vorgelesen, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Bei einer Lesung im Anschluss erhielten Interessierte einen Einblick in die Vielfalt jüdischen Lebens heute.
(tgel) 80 Jahre ist es her, dass das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde. Vor genau 20 Jahren wurde dieser Tag, der 27. Januar, zum weltweiten Holocaust-Gedenktag erklärt. Wie wichtig und gleichzeitig herausfordernd das Erinnern gerade in der Gegenwart geworden ist, steht außer Frage, gleichzeitig stellen sich andere Fragen: Wie erinnern wir uns fortan, wenn immer weniger Zeitzeugen da sind, wenn die Zahl der Zweifler wächst?
Kempens Bürgermeister Christoph Dellmans (parteilos) sprach in seiner Rede von der Bedeutung der Zweitzeugen, die von ihren Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden erzählen und deren Erinnerungen weitertragen. Er erzählte die eindrückliche Geschichte von Mirjam Honig, der letzten Holocaust-Überlebenden aus Kempen, die einen Tag vor Weihnachten 2024 im Alter von 102 Jahren verstorben ist. Dankbar sei er, sie kennengelernt zu haben, dankbar für diese Chance, die ihn zum Zweitzeugen gemacht habe.
In einem eindringlichen Appell bat Dellmans die anwesenden Bürgerinnen und Bürger, die Erinnerung lebendig zu halten. Er verwies auf die vor wenigen Monaten angebrachte Tafel neben der Stele am Rathaus, die neue Forschungsergebnisse verarbeitet hat und sieben weitere Namen anführt. So waren es an diesem 27. Januar 2025 erstmals 89 Namen, die Dellmans vorlas; 89 Menschen, die Opfer des Nationalsozialismus wurden und zu deren Erinnerung je eine weiße Rose an der Stele niedergelegt wurde.
Im Anschluss lud der Kreis Viersen zur Holocaust-Gedenkveranstaltung in das Kulturforum Franziskanerklosters ein. Dort las nach der Ansprache von Landrat Andreas Coenen (CDU) der Autor Gerhard Haase-Hindenberg aus seinem Buch „Ich bin noch nie einem Juden begegnet“. Haase-Hindenberg erklärte den Titel, der natürlich Fragen aufwerfe. Der Satz sei beispielhaft, da er den meisten Jüdinnen und Juden schon einmal begegnet ist, wenn sie anderen Menschen von ihrem Glauben erzählen. Ebenso häufig würden sie darauf mit der Frage antworten: „Woher weißt du das?“
Haase-Hindenberg hat viele Jüdinnen und Juden interviewt, regelmäßig erscheinen seine Porträts auch in der Jüdischen Allgemeinen. In seinem Buch erzählt er die Lebensgeschichten von Menschen, die ihre jüdischen Wurzeln erst entdecken oder sich bewusst mit der jüdischen Vergangenheit ihrer Familien auseinandersetzen und ihren Platz darin suchen. Andere gelangten auf Umwegen nach Deutschland und gründeten jüdische Gemeinden – wie etwa Paulina aus Odessa und Rachel aus Pennsylvania, deren Wege sich so unerwartet in Hameln kreuzen sollten.
All diese Porträts gewähren tiefe Einblicke in die Vielfalt jüdischen Lebens. Eindrücklich und bisweilen humorvoll – und gerade deshalb stand auch die Frage im Raum, ob es das richtige Buch für den Anlass war.