Holocaust-Zeitzeugin zu Gast in Neuss Fragen an eine Holocaust-Zeitzeugin

<irwordspace style="word-spacing -004687525em;"><irglyphscale style="font-stretch 97%;">Norf</irglyphscale></irwordspace> · Das Gymnasium Norf hatte am Dienstag die aus Weißrussland stammende Mina Gampel als Zeitzeugin der NS-Zeit zu Gast. Die 84-Jährige hat die Verfolgung überlebt und erinnerte auch an den Moment, in dem ihre Familie Hals über Kopf fliehen musste.

Zeitzeugin Mina Gampel an der Seite von Schulleiter Stefan Kremer.

Foto: Andreas Woitschützke

Mit dem Blick auf heute kommt die Holocaust-Zeitzeugin Mina Gampel zu einem niederschmetternden Ergebnis: „Die Menschheit hat offensichtlich nicht viel gelernt.“ Für anderthalb Stunden konnten Schüler der zehnten und elften Jahrgangsstufe des Gymnasiums Norf am Dienstag in der Aula eine jüdische Zeitzeugin der NS-Zeit kennenlernen und ihr zuhören, was sie von ihren Erlebnissen und Erfahrungen berichtet. Begleitet wurde sie von Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung aus Nürnberg, das seit 20 Jahren Bildungsarbeit mit Holocaust-Überlebenden vermittelt.

Beide Frauen trafen sich am Vorabend am Kölner Hauptbahnhof und gerieten am Holocaust-Gedenktag in eine friedliche Demo gegen rechts. In der Demonstration wurde auch ein Schild mitgeführt, auf dem zu lesen war: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.“ Dieser Satz stammt vom ehemaligen Auschwitz-Häftling Primo Levi, einem italienischen Schriftsteller. Deshalb ist die Botschaft von Zeitzeugen wie Mina Gampel so wichtig: „Nie wieder ist jetzt.“ Eingeladen hatte sie Daniel Lupo, Lehrer für katholische Religion und Politik.

Flucht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten

Gleich zu Beginn stellte Gampel klar, dass sie zwar keine KZ-Überlebende ist, aber vor der Wehrmacht fliehen musste. Sie wurde 1940 als jüngstes von acht Kindern in Pinsk in Weißrussland geboren. In dieser kleinen Stadt waren 70 Prozent der Bevölkerung Juden. Als 1941 der Einmarsch der deutschen Wehrmacht bevorstand, floh die Familie Hals über Kopf. Die Mutter vergaß sogar, für das jüngste Kind Windeln mitzunehmen.

Die Familie suchte Schutz im asiatischen Teil der Sowjetunion, sie kam bis Kirgisien. Nach dem Krieg wurde die Familie im nun polnischen Stettin angesiedelt. Dort ging Mina zur Schule: „Es war die glücklichste Zeit meines Lebens.“ Ihre Armut gewohnten Eltern konnten sich mit einer Schuhmacherei eine neue, bessere Existenz aufbauen. In Stettin verliebte sie sich in einen jungen Mann, und weil sie auf seinen Rat ihren Eltern die Lüge auftischte, sie sei schwanger, konnte sie ihn mit sechszehneinhalb Jahren heiraten. Der Mann wollte 1957 nach Israel ausreisen. Dort bekam sie drei Söhne. Heute ist Mina Gampel Groß- und Urgroßmutter. Nach zehn Jahren in Israel ließ sie sich scheiden und kehrte nach Europa zurück, nach Deutschland, wo ein Bruder lebte.

Deutschland bezeichnet sie heute als ihre Heimat. Hier lebt sie bereits über 50 Jahre, hat als Kindergärtnerin gearbeitet und ihren Traum umgesetzt, Künstlerin zu werden. In ihren Gemälden hält sie gern das jüdische Leben fest. Es war eine Schlüsselszene, als ihr Vater sie in Stettin in die Synagoge mitnahm. Als Kind dachte sie, wie kann man einen solchen Augenblick des Glücks festhalten?

Vielleicht war das auch das Besondere dieser Zeitzeugen-Begegnung: Obwohl Mina Gampel viel Leid und Entbehrung erfahren hat, behält sie einen positiven Blick auf das Leben. Auch wenn sie sich wieder fragt, muss ich meinen Koffer wieder packen? In ihrer Heimatstadt Pinsk wurde der Großteil der Juden von den Deutschen in den Wäldern der Umgebung erschossen und in Massengräbern verscharrt. Ihrer Familie gelang die Flucht, sie überlebte zum Teil, weil sie die Gefahr rechtzeitig erkannte. Drei Brüder kamen auf der Flucht um. Heute macht ihr die Welt wieder Angst: „Warum können nicht alle Nationen und Religionen in Frieden zusammenleben?“

In der Diskussion wollte ein Schüler wissen, wie es sich anfühlt, in den 1960er Jahren in das Land der Täter zu kommen? „Das Leben geht weiter. Anders kann man nicht weiterleben“, war ihre Antwort. Die Jugendlichen in der Aula ermunterte sie, Mut im Leben zu haben. Einer 17-jährigen Schülerin, die es gruselig fand, mit 16 verheiratet zu sein, gab sie den Rat, keine Dummheiten zu wagen. Aber gegen Liebe könne man nichts machen. Ihr Leben hat sie in einem Buch zusammengefasst: „Meine vier Leben“ – Russland, Polen, Israel und Deutschland. „Ich bin wie ein Kätzchen. Ich finde überall mein Plätzchen.“