Stationenmusiktheater in Kempen und Grefrath Mit dem Fahrrad zu den Aufführungsorten
Kempen · An sieben Stationen zwischen Grefrath und Kempen-Tönisberg machten die Macher von „Ventil“ Station und boten den radelnden Gäste Musik, Schauspiel und Film.
(b-r) Ein Theaterbesuch sieht ja meist so oder so ähnlich aus: Schick gekleidet am Abend im roten Plüschsessel des Schauspielhauses Platz nehmen und das ausgewählte Stück anschauen. Es geht auch anders und bietet nicht weniger Genuss: Den Regen in Kauf nehmend in Fahrradklamotten über 20 Kilometer von einem Aufführungsort zum anderen radeln und sich dort kulturell überraschen lassen.
Den Beweis für die Qualität dieses etwas anderen Theaterbesuchs traten am Samstag die Macher von „Ventil“ an, einem Stationenmusiktheater. Von Grefrath bis Tönisberg konnten kulturinteressierte Radler an sieben Stationen Musik, Schauspiel und Film erleben. Auch Interaktion wurde angeboten. Maike Graf, Regisseurin, Christopher Collings, Komponist, und Nils Ladewig, Foto- und Videografie, sind die Macher des Theaters. Die Tour geht auf eine Initiative des Kulturraums Niederrhein zurück.
Eine der reizvollen Besonderheiten des Stationentheaters war nicht zuletzt der eine oder andere ungewöhnliche Aufführungsort. Wie das Haus Velde. Das ehemalige Rittergut in Kempen gilt als ein Baudenkmal der Renaissance. Mittlerweile befindet es sich in Privatbesitz. Verständlich, dass die Bewohner in der Regel keine Spaziergänger vor ihren Fenster stehen sehen wollen. Am Samstag aber war ein Besuch in Haus Velde ausdrücklich gewünscht. Einer der Eigentümer, Ralf Burkart, erzählte: „Wir wurden von den Organisatoren gefragt, ob sie hier spielen dürfen.“ Eigentlich hatten diese sich schon einen anderen Platz auf dem Gelände ausgesucht. Dann verwies Burkart sie auf eine ganz besondere Stelle: „Während der Restaurierungsarbeiten in den 1970er-Jahren wurde eine Freilichtbühne angelegt.“ Eine Traumlocation: ein kleiner Platz im Innenhof mit Blick auf die alten, elegant verwitterten und abgebrochenen Mauern des Rittergutes. Mauerreste ergeben eine Art von terrassierter Anlage. Hier agierten am Samstagnachmittag die Schauspieler Carmen Konopka aus Berlin und Jan van Putten aus Köln und bezogen die Arena in ihre Vorführung mit ein.
Das verbindende Motto der Stationen lautete „Verstehen & Missverstehen“. Konopka und van Putten, in Radfahrkleidung auf den Mauern sitzend, verkörperten die Zwillinge Hermes und Hermenia. Nur zehn Minuten dauerte die Szene, die sie spielten – und sie war an Intensität nicht zu übertreffen. Die nach der Geburt voneinander getrennten Zwillingen versuchten einander zu spiegeln, dadurch zu begreifen und zu verstehen. Begeistert erkannten sie Ähnlichkeiten, bis zu dem Punkt, an dem sie ihre tiefe Verwandtschaft begriffen – danach entfernten sie sich voneinander. Die Szene ließ den Zuschauer nachdenklich zurück, angeregt, über Verständnis und Missverständnis zu reflektieren.