Historischer Rückblick Die Anfänge des Karnevals
Nettetal · Von einem Fränzchen, das aufgehängt wird und Eltern, die mit der Karnevalsklatsche den Allerwertesten versohlt bekommen: Wir erklären Nettetaler Karnevalstraditionen und ihre Herkunft.
„Die Kahlköpfe“ – das ist auf Krämerlatein die Bedeutung des Namens der ältesten Nettetaler Karnevalsgesellschaft . Die KG „De molveren Dei“ wurde 1893 in Lötsch gegründet. Dabei handelte es sich bis Anfang der 1930er-Jahre um ein „Jeloach“ (Gelage), es war also eine Gesellschaft, die vor Fastnacht zusammentrat und keine festen Mitglieder und Beiträge hatte. Wer mitmachen wollte, bezahlte sein „Jeloachjeld“ und übernahm seinen Posten in der Gesellschaft. Gefeiert wurde mit närrischen Büttenreden, Theatereinlagen, Tanzmusik und einem Umzug durch den Ort.
In den 1930er-Jahren ruhte die KG wegen des Drucks der NS-Partei. Ende 1952 begann für die KG eine neue, glanzvolle Zeit, die bis heute anhält. Eine Besonderheit ihres Nelkensamstagszugs ist die Spielszene des „Fränzchen Verdonnern“, die seit der Gründung nach festgelegtem Ritual erfolgt. Dabei wird der „Tunichtgut“ Fränzchen beim Umzug vom „Fränzchenschüürer“ auf einer Schubkarre durch den Ort gefahren. Ihm wird von einem Kindergericht, bestehend aus Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Arzt und Priester, der Prozess gemacht. Er wird verurteilt und für alle sichtbar aufgehängt. Früher wurde er sogar verbrannt. Eine weitere Besonderheit ist die sogenannte „Belobigung“ für verdiente Mitglieder wie Eltern des Kinderprinzenpaares oder des Präsidenten. Hierbei wird ihnen mit der „Breez“, einer Karnevalsklatsche, „der Hintern versohlt, bis er brennt“. Eine Gaudi, die alle gerne mitmachen.
Zehn Jahre jünger ist die KG „De Wölese“ Breyell, die aus dem 1898 gegründeten Katholischen Gesellenverein entstand. Der Name „De Wölese“ kommt aus dem Krämerlatein und bedeutet Junge oder Knabe. Zum Jahreswechsel 1898/99 traten die Mitglieder erstmals mit einem Theaterstück auf, im Februar 1903 folgte die erste „humoristische Abendunterhaltung“. Diese erste Karnevalssitzung gilt als Geburtsstunde der Wölese, die bis heute ein Teil der Breyeller Kolpingsfamilie sind. Nach dem ersten Weltkrieg wurden De Wölese 1927 wieder aktiv mit bis zu drei Karnevalsabenden je Session.
Nachdem ab 1935 von der NS-Regierung Auftritte verboten wurden, ging es ab 1946 wieder los. Es wurden Sketche eingeübt und Lieder gesungen, geprobt wurde in Privatwohnungen oder im Jugendheim. Für die Kulissen „organisierten“ einige Wölese Bäume, die gefällt und mit einem Feuerwehrgerätewagen geholt wurden. In einem Sägewerk in Leuth wurden die Bäume, unter Fürsprache des Leuther Pastors, zu Brettern gesägt. Sie wurden zurechtgeschnitten, in tage- und nächtelanger Arbeit bemalt und zu einem Bühnenbild zusammenbaut. Dieser Zusammenhalt besteht bis heute. So konnte die Gesellschaft im vergangenen Jahr ihr 11 x 11 Jahre-Jubiläum feiern.
Etwas jünger ist die KG „Alles det met“ Kaldenkirchen, die im Herbst 1934 gegründet wurde. Nachdem sich 1931 die Närrische Gilde, eine 1861 gegründete Karnevalsgruppe, auflöste, trafen sich drei Jahre später 15 Bürger und beschlossen die Gründung einer neuen Karnevalsgesellschaft. Der zum 1. Präsidenten gewählte Fritz Quack kreierte den Vereinsnamen „Alles det met“, ein Name, der, passend zum Karneval, aus elf Buchstaben besteht. Während des zweiten Weltkriegs kam das närrische Treiben zum Erliegen. 1949 fanden dann im Saal der Gaststätte Zur Mühle erstmals wieder von der KG organisierte Karnevalssitzungen statt. Die närrischen Feiern dauerten damals von Karnevalssonntag bis Veilchendienstag, pünktlich um 24 Uhr war Schluss.
Am Montag zog man mit zwei Wagen von Wirtschaft zu Wirtschaft sowie zu den Landwirten. Die dabei gesammelten Lebensmittel wurden am Aschermittwoch gemeinsam verspeist. Der Dienstag war einer der Höhepunkte, weil an diesem Tag der Altweiberball stattfand. Mit dem „Heringsschälen“ am Aschermittwoch wurde die Session beendet. Dabei musste früher der Hering selbst entgrätet werden, daher der Begriff.
1936 wurde von zwölf Bewohnern des Lobbericher Bereichs „Heide“ die KG „Fidele Heide“ gegründet. Ein Jahr später fand im Strandhaus Ludwigs der erste bunte Abend mit Vorträgen und Aufführungen statt. Im gleichen Jahr führte man auch den ersten Rosenmontagszug durch. Nach der kriegsbedingten Ruhepause wurde der Verein Ende 1945 wieder aktiv. Mit „Dröpkes-Sitzungen“, zu denen die Gäste, da es in den Gaststätten noch nicht alle Getränke gab, so manches selbstgebrannte Tröpfchen mitbrachten, feierte man einen noch bescheidenen Karneval.
Ab 1949 veranstaltete die „Fidele Heide“ neben ihren Sitzungsabenden auch Karnevalsumzüge mit einem Karnevalsprinzen, die man wegen Desinteresse anderer Gruppen 1954 einstellte. Mit Willy Güßgen erhielt Lobberich 1959 einen Gemeindedirektor, der dem Karneval sehr zugetan war. Er lud alle interessierten Vereine zu einer Besprechung ein, die zur Gründung des Karnevalskomitees Lobberich führte. Diese übernahm nun, neben ihren Sitzungen, die Organisation der Lobbericher Karnevalszüge, an der sich die KG Fidele Heide alljährlich mit einem großen Prunkwagen beteiligt. Die Fidele Heide kann für sich in Anspruch nehmen, Lobberichs aktivste Karnevalsgesellschaft zu sein.