Wie bedeutet das Demonstrieren für Sie?
Jugendliche aus Nettetal über Politik „Ich fühle mich gelähmt und frustriert.“
Nettetal · Luna (18), Lilli (19) und Lukas (25) aus Nettetal sind politisch sehr aktiv. Wir haben mit ihnen über den Wahlausgang gesprochen.
Lilli Geritz Auf so einer Demo kann man seine Sorgen und die Wut und Enttäuschung über die Politik äußern und mit den anderen Menschen teilen. Ich freue mich, dass so viele Menschen in Nettetal waren, viele sind auf mich zugekommen und haben gesagt, wie wichtig es sei, dass so etwas in Nettetal stattfindet
Luna Kleine Eine Demonstration vermittelt mir ein Gefühl von Stärke. Nur bei einer Demo, auf der ganz viele Leute sagen, was falsch läuft, werden wir richtig gehört.
Lukas Langer Die Demo in Nettetal war ein sehr starkes, hoffnungsvolles Zeichen. Deutschlandweit sind erneut in hunderten Städten insgesamt mehr als eine Million Menschen für unsere Demokratie auf die Straße gegangen – das ist in der aktuellen Zeit wirklich wichtig.
Fühlen Sie sich mit Ihren Interessen politisch vertreten?
Langer In den Statements und den Parteiprogrammen kommen wir schon vor, aber in der Umsetzung eher weniger. Meiner Meinung nach hakt es am meisten beim Thema Klimaschutz. Die Aufgabe der Politik ist es laut Grundgesetz, Verantwortung für die künftigen Generationen zu übernehmen und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Das ist ein reales Problem, das gelöst werden muss. Von der Politik wird es nicht als Problem, sondern als Lobbyinteresse wahrgenommen. Seitdem die Proteste von Fridays for Future in der Öffentlichkeit weniger geworden sind, scheint die Politik das abzuhaken.
Geritz Ich bin der Meinung, dass die Bildung zu kurz kommt, denken Sie allein an die Ausstattung der Schulen. Die Ungleichheit der Bildungswege ist erschreckend. Fakt ist doch, dass Menschen, die aus nicht-akademischen Haushalten kommen, eine schlechtere Bildung erhalten. Das ist sehr unfair und sollte sich ändern. Die Politiker selber haben eine hohe Bildung, benutzen eine Sprache, die Nicht-Akademiker oft überhaupt nicht verstehen können. Das führt dazu, dass diese Menschen sich von der Politik nicht gesehen fühlen.
Kleine Vor allem das Thema Klima wird von der Politik fallen gelassen. Ich habe das Gefühl, die Politiker machen Politik für die Gegenwart. Das ist ja auch richtig, aber wir jungen Menschen machen uns Sorge um unsere Zukunft. Wie sollen wir uns finanzieren, alles wird teurer, die Reichen werden immer reicher, das Rentenalter steigt. Ich hab das Gefühl, ich werde nie finanziell unabhängig sein. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb die Linken in unserer Generation große Zustimmung erfahren. Die reden Klartext, sagen, wir möchten für euch da sein, soziale Ungerechtigkeit ausgleichen, die Steuern der Besser-Verdienenden erhöhen. Und die sind für mich glaubwürdig. Sie sind die einzige Partei, von der ich mich gehört fühle.
Wie denken Sie über den Wahlausgang?
gerritz Ich war nicht wirklich überrascht, es entsprach ja den Prognosen und war absehbar. Aber ich war schon geknickt, dass die AfD, eine in Teilen gesichert rechtsextremistische Organisation, jetzt die zweitstärkste Partei im Bundestag ist. Ich fühle mich gelähmt und frustriert. Gefreut habe ich mich, dass die Linkspartei in der Opposition ist.
Kleine Mir geht es ähnlich wie Lilli. Ich muss mich mit der Realität abfinden. Ich habe Angst, dass konservative Gesetze durchgesetzt werden und wir so einen Schritt zurückgehen. Angst habe ich auch davor, dass die Energiegewinnung durch Windkraft abgebaut wird. Ich fürchte übrigens, dass wir zu ungebildet für eine Demokratie sind. In der Schule sollten Sozialwissenschaft und Geschichte Pflicht für alle sein. Außerdem ist der Lehrplan veraltet, mal sollte nachdenken, was zeitgemäß ist, wie zum Beispiel Medienkompetenz.
Geritz Stimmt, und es ist ja schon so, dass sich in unserer Generation überproportional viele Leute für Geschichte interessieren.
Langer: Ich schließe mich den anderen an – insbesondere auch die Medienkompetenz und der Umgang mit Falschinformationen im Internet kommen zu kurz. Das ist dann irgendwo auch demokratiegefährdend.
Bei den Wahlergebnissen fällt mir aber vor allem die große Spaltung zwischen Stadt und Land sowie Ost und West auf. Auch heute zieht sich noch politisch und wirtschaftlich eine harte Linie durch dieses Land. In den neuen Bundesländern haben AfD und BSW teilweise absolute Mehrheiten - und schließen eine Koalition nicht aus. Da werden auf viele Menschen harte Zeiten zukommen.
Wie geht es jetzt weiter?
Kleine Ich kann mir gut vorstellen, erneut zu demonstrieren. Oder auch in die Linken einzutreten und aktiv zu werden.
gerritz Das sehe ich genauso. Für mich ist demonstrieren eine Art Pflichtgefühl.
langer Ich werde weiter überparteilich tätig sein, mich für den Klimaschutz engagieren, insbesondere für den Bau des geplanten Windparks in Nettetal und den Ausbau von Photovoltaik-Anlagen.