In Weberei gehen die Lichter aus
Die ULM, ein Überbleibsel der früheren Verseidag, macht dicht. Einige Arbeiter wechseln nach Dülken.
Anrath. Über Jahrzehnte war die Textilindustrie eine sichere Bank. Hieß der Arbeitgeber beispielsweise Verseidag, wusste der eingestellte Lehrling, dass er eine gute Chance hatte, bis zur Rente im Betrieb zu bleiben. Es folgte eine Krise nach der nächsten, von dem Industriezweig blieben Nischen-Produktionen.
Eine von ihnen war die Weberei ULM am früheren Verseidag-Standort Prinz-Ferdinand-Platz/Jakob-Krebs-Straße in Anrath. Doch auch hier gehen am 1. September die Lichter aus - endgültig. Von den 55 Menschen, die derzeit noch in Lohn und Brot stehen, bekommen gerade 15 gleich einen Arbeitsplatz. Sie müssen künftig nach Dülken fahren.
Dazu gehört der Betriebsratsvorsitzende Michael Streithoven. Er hat mit Hilfe der Gewerkschaft mit der Unternehmensleitung einen Sozialplan ausgehandelt. Der sieht vor, dass 31 Beschäftigte in eine Auffanggesellschaft gehen und bei Qualifizierungsmaßnahmen vielleicht für andere Jobs fit gemacht werden können.
Sieben Beschäftigte wählten den Weg der "normalen" Kündigung und werden wahrscheinlich jetzt gegen die Firma klagen. Mit zweifelhaften Chancen, wie Gis Prentkowski-Freitag von der IG Metall bestätigt: "Wir haben das prüfen lassen. Es ist kaum Geld da." Die Firma habe so gut wie kein Eigenkapital.
Karl-HeinzKniller, Beschäftigter bei ULM
Entsprechend knapp ist auch das, was für den Sozialplan übrig blieb. "Jeder der 31 bekommt 1.000 Euro", erklärt Michael Streithoven. Für diejenigen, die sich schon in der Nähe des Rentenalters befinden, gibt’s 5.000 Euro obendrauf.
Die Stimmung im Betrieb ist schlecht - logisch. "Die Kollegen hatten einem Sanierungstarifvertrag zugestimmt. Sie haben Abstriche beim Lohn gemacht, 40 statt 37 Stunden gearbeitet", erklärt die Gewerkschaftsfrau. Will sagen: Das, was die ULM-Beschäftigten ihrer Firma an Arbeitszeit geschenkt haben, ist deutlich mehr als das, was sie heute in Form der Abfindung rauskriegen.
Der Betriebsrats-Chef ist schwer enttäuscht von der Firmenleitung. "Man hat uns immer wieder zugesagt, helfen zu wollen. Geschehen ist nichts", klagt Streithoven. Die Geschäftsführung habe immer wieder betont, es sei kein Problem, die Webstühle zu verkaufen. "Dabei sind die geleast. Wie soll das gehen?" Aus dem Erlös sollten die Abfindungen gezahlt werden.
Gibt’s eigentlich innerhalb der Belegschaft die Tendenz, alles hinzuwerfen und einfach zu gehen? "Ja", sagt Karl-Heinz Kniller, "gibt es." Er selbst hat hier mit 13 Jahren eine Lehre als Seidenstoffweber begonnen. Seit 44 Jahren ist er im Unternehmen. Der 57-Jährige hat Glück gehabt: Er kann am anderen Platz weiterarbeiten. Derzeit laufen in der Halle 60 von 143 Webstühlen.
In Dülken wird auf dem Gelände der früheren Fabrik August Kredt (heute Schiffer) ein neue Produktionslinie aufgebaut. Dort werden Etiketten-Satin hergestellt. Für Menschen wie Karl-Heinz Kniller bedeutet der Umzug aber auch, dass er wieder in den Schichtdienst muss. "Was willst du machen?," fragt er. Positiv immerhin: Die Arbeiter behalten ihren Status mit Beschäftigungsjahren und Lohn. Sie brauchen nicht bei Null anzufangen.
Bereits zum 1. September werden die 31 Betroffenen in die Auffanggesellschaft wechseln. Die anderen müssen sich auf eine Weile Parallel-Betrieb mit Dülken einstellen. Bevor in Anrath nach 110 Jahren für immer die Lichter ausgehen.