St. Tönis: Reisen wie zu Ur-Großmutters Zeiten
Ausflug: Eine Schienenfahrt im Schluff von St. Tönis zum Hülser Berg ist Nostalgie pur.
St. Tönis. Nicht nur Kinder machen große Augen, wenn er schnaufend und ratternd einfährt und sich die weißen Rauchschwaden verflüchtigen. Da steht er in voller Pracht mit schwarzem Kessel, roten Rädern und grüner Dampflok. Die Rede ist vom "Schluff".
Bereits seit 1980 verbindet die historische Dampfeisenbahn jeden Sonn- und Feiertag zwischen Mai und Oktober St. Tönis mit dem Hülser Berg und genau so lange ist auch "Schluff"-Experte Rolf Plönißen ehrenamtlich mit dabei - erst als Schaffner, jetzt als Zugbegleiter.
Bei dieser Fahrt ist er aber etwas traurig. Denn "Graf Bismarck XV" gibt sich heute nicht die Ehre. Auf diesen stolzen Namen hört die über hundert Jahre alte Dampflok. "Sie ist defekt und kann deshalb heute zum ersten Mal in diesem Jahr nicht fahren", erklärt Plönißen. Dafür steht an ihrer Stelle eine orangefarbene Diesellok. Weniger spektakulär ist die zwar, aber voran geht es trotzdem. Außerdem entschädigen die sechs originalgetreu restaurierten rot-gelben Personenwagen dafür.
"Die sind noch viel älter als die Dampflok. Um 1900 wurden die Wagen gebaut", so der Zug-begeisterte Plönißen. Seine Leidenschaft für den "Schluff" ist familienbedingt: "Mein Großvater war bei der Eisenbahn und mein Vater war bei der Eisenbahn. Ich sollte das nicht machen. Aber als sich dann hier die Möglichkeit ergab... Die Liebe ist dann eben doch geblieben."
Und da ruft auch schon die Pflicht. Alle Fahrgäste sind eingestiegen. Plönißen steht allein auf dem Bahnsteig und schaut sich noch einmal um. Ein kurzes, aber kräftiges Pusten in die Pfeife, ein schwungvoller Schwenker mit der grün-weißen runden Kelle: Das Zeichen zur Abfahrt.
Einen nostalgisch anmutenden mit tiefrotem Samt bezogenen Sitzplatz am Fenster hat sich Sigrid Freutel ausgesucht. Sie ist extra mit der Straßenbahn von Krefeld nach St. Tönis gekommen, um den "Schluff" von Beginn der Strecke an zu erleben. "Es muss sich ja auch lohnen", erklärt die 72-Jährige und berichtet weiter: "Wir fahren bis zum Hülser Berg und gehen dann zum Parkschlösschen."
Aber auch während der Fahrt wird fürs leibliche Wohl gesorgt. Der "Barwagen" wartet mit Würstchen und Frikadellen auf und dazu gibt’s zur Erfrischung ein kühles Bier. Da schunkelt nicht nur der der rund 90 Meter lange Schluff bei der höchstens 40km/h schnellen Fahrt, sondern die Fahrgäste gleich mit.
Die größten Fans des "Schluff" sind zweifelsohne die Kleinen. Nicht einmal drinnen sitzen bleiben kann Robin. Der Vierjährige steht an der Verbindungsstelle zwischen den Waggons und hält sich am geschwungenen Eisengitter fest. Mit kleiner Zugführermütze à la Jim Knopf genießt er den Fahrwind und schaut sich die vorbeiziehende Landschaft an.
Schon unzählige Male hat Robin mit seinem Vater Frank Liedtke die Tour mitgemacht und kann einfach nicht genug bekommen. Auch der Erwachsene hat Spaß: "Wenn Robin dürfte, würde er vorne mitfahren." Dass es diesmal nicht zischt und raucht, merkt der Kleine gar nicht. Hauptsache Schluff-Fahren.