Grevenbroich: Millimeterarbeit in 133 Metern
Auf der Windpark-Testanlage in Neurath ist am Dienstag das erste Windrad einer neuen Generation installiert worden.
Grevenbroich. "Festhalten, mehr nach links. Der wackelt wie bekloppt..." Es folgen noch einige Worte, doch die gehen im Rauschen des Winds unter. "Wahrscheinlich ein leises Fluchen", sagt Eckard Lampe und guckt hoch zu seinem Kollegen, der im Maschinenraum an der Spitze des Turms hockt. Unten auf dem Acker leitet Siemens-Mann Lampe das Montieren des Propeller-Sterns an den gerade aufgestellten Windkraft-Turm im Testfeld auf der Neurather Höhe.
Der Wind ist dabei das größte Problem der 15 Monteure. Zwar hat ein gigantischer Kran den Stern, wie der 45 Tonnen schwere Propeller mit seinen drei Flügelblättern genannt wird, auf die richtige Höhe von 133 Metern gezogen. "Doch das reicht nicht. Wir können den Rotor nicht einfach an der Nabe befestigten", erklärt Eckard Lampe.
Seit über einer Stunde versuchen seine Männer, den Rotor mit dem Durchmesser von zwei Fußballfeldern an den Turm der höchsten Binnenland-ATS-Windkraftanlage der Welt zu montieren. Doch der Wind bläst den am Schwerlastkran hängenden Rotor mal hierhin, mal dorthin. Mit Seilen in den Händen rennen zwölf Männer scheinbar kreuz und quer über das Ackerfeld rund um den Turm. Dirigiert von Eckard Lampe bringen sie den Rotor in Position und warten auf den Moment, in dem es gelingt, den Schwung auszunutzen und den Propeller endlich heranzuziehen. "Und zwar so, dass die Führungsbolzen in die richtigen Löcher gleiten", sagt Lampe.
Nach zwei Stunden gelingt es. Exakt rutschen die Bolzen, dick wie ein Oberschenkel, in die Löcher. Jetzt misst die Windkraftanlage vom Boden bis zur obersten Flügelspitze 178 Meter - und ist damit höher als der Kölner Dom (157 Meter). Die Anlage in Grevenbroich ist die weltweit erste Windkraftanlage mit einem Hybridturm. Das bedeutet, das sie aus zwei Baustoffen besteht: unten aus Betonelementen und erst im oberen Drittel aus Stahl. Der Turm erlaubt damit größere Nabenhöhen als bisher und so eine höhere Energieerzeugung bei vergleichsweise niedrigen Kosten. "Zudem sind die Einzelteile leichter zu transportieren, da sie alle mit gewöhnlichen Sattelschleppern hierhin transportiert wurden", sagt Johannes Bietz. Der 30-Jährige ist Verkaufs-Manager der Firma ATS, die die neue Turmbau-Art erfunden hat.
"Gegenüber der üblichen Nabenhöhe von 80 bis 100 Metern bringt das 133 Meter hohe Hybrid-System rund 20 Prozent höhere Energieerträge", sagt er. Die höheren Aufwendungen für die Errichtung des Turms seien bereits nach wenigen Jahren wieder ausgeglichen. Etwa vier Millionen Euro hat ATS-Geschäftsführer Frans Brughuis in die Entwicklung des Fertigteil-Betonturms gesteckt.
Jetzt steht er bis zu den Knöcheln im Grevenbroicher Matsch und hört gar nicht auf, mit seiner Digitalkamera Fotos zu schießen. "Das ist ein wundervoller Moment. Natürlich waren wir uns sicher, dass wir alles richtig berechnet haben. Aber den Turm aufgebaut zu sehen, ist so bewegend", sagt er. In den nächsten Tagen wird er Kunden aus den USA, Israel und Schweden nach Grevenbroich führen. Sie alle interessieren sich für den Turm, der kompatibel zu allen Windkraftanlagen-Herstellern ist.
Jetzt werden die Anschlüsse verlegt, so dass der Strom aus dem Hybridturm in das Netz von RWE eingespeist wird. Das wird so viel sein, dass damit 1500Haushalte ein Jahr mit Strom versorgt werden können.