Kaarst: „Das Juniorentennis blutet aus“

WZ-Interview: Marc Raffel, Organisator des Kaarster ATP-Tennisturniers, ärgert sich über verkrustete Verbandsstrukturen.

Kaarst. Der Tennissport führt ein Schattendasein. Seitdem die großen Idole Boris Becker und Steffi Graf aufgehört haben, geht es mit der Publikumsgunst stetig nach unten. Und auch die Vereine klagen seit Jahren über Mitgliederschwund. Die WZ sprach am Rande des Kaarster ATP-Turniers mit Organisator Marc Raffel, Teamchef beim Bundesligisten Blau-Weiß Neuss, über die Zukunft des Tennis.

WZ: Herr Raffel, dem deutschen Tennis fehlen die großen Vorbilder. Oder wie lässt sich die Krise sonst erklären?

Marc Raffel: Die Idole für den Nachwuchs fehlen, das ist unbestritten. Die Probleme des Sports damit zu erklären, wäre aber zu einfach. Die größten Schwierigkeiten sehe ich vielmehr in der Organisationsstruktur des Deutschen Tennis.

WZ: Was meinen Sie damit?

Raffel: Einer der größten Fehler des Deutschen Tennisbundes (DTB) war die Einführung der neuen Altersklassen in den 90er Jahren: Das Jungseniorenalter wurde von 35 auf 30 herabgesetzt. Dadurch sind zu viele Spielklassen für zu wenige Spieler entstanden und das Niveau ist schlechter geworden. Jemand, der heute Regionalliga spielt, hätte es früher höchstens bis in die Verbandsliga geschafft. Außerdem müssen viele Klubs geschätzte 70Prozent ihrer Gelder in den Seniorenbereich investieren. Dadurch blutet das Juniorentennis aus.

WZ: Gibt es denn noch genügend Jugendliche, die sich für Tennis interessieren?

Raffel: Ja, eindeutig. Es gibt immer noch viele Kinder, die sich in den Vereinen anmelden. Die durchlaufen die Jugend, und im Übergang zum Erwachsenenbereich gehen sie uns dann verloren.

Warum ist das so?

Raffel: Für die Medenmannschaften der offenen Damen- und Herrenklassen fehlen die Leute über 30. Dadurch können viele Teams nicht gemeldet werden und die Talente im Alter von 17, 18 oder 19 Jahren bleiben auf der Strecke. Deshalb plädiere ich schon seit langem dafür, die Spieleranzahl in den Teams von sechs auf vier herabzusetzen. Zum einen braucht ein Verein dann weniger Spieler, zum anderem würden die Meisterschaftsspiele schneller über die Bühne gehen. Bei sechs Spielern mit sechs Einzeln und drei Doppeln muss man den ganzen Tag auf der Tennisanlage verbringen. Das ist zum Beispiel für eine junge Mutter oder einen jungen Vater nicht zu schaffen.

WZ: Warum nehmen die Verbände diese Anregungen nicht auf?

Raffel: Da sind wir beim nächsten Problem. Die Verbandsstrukturen sind verkrustet und schwer aufzubrechen. Es gibt neben wertvollen Funktionären leider zu viele Bremser. Auf einen jungen Spieler wollen teilweise fünf verschiedene Funktionäre Einfluss nehmen. Vom örtlichen Verein bis zum Talentsichter des DTB. Dadurch werden viele Spieler völlig verunsichert.

WZ: Wie könnte die Nachwuchsförderung besser funktionieren?

Raffel: Private Tenniscamps machen es vor. Da sind die Strukturen flexibler. Ex-Profi Marc-Kevin Goellner macht das zum Beispiel in Köln und wir mit der Asics-Tennis-Base im Rhein-Kreis. Dort wird sich auf das Wesentliche konzentriert. Und ich sehe in diesen privaten Einrichtungen viele Talente, die das Zeug zur Weltspitze haben. Insofern sehe ich positiv in die Zukunft.

WZ: Zum Abschluss noch ein Blick auf das ATP-Turnier in Kaarst: Ist das Konzept erfolgreich?

Raffel: Das Turnier entwickelt sich zu einer sportlichen und gesellschaftlichen Spitzenveranstaltung in unserer Region. Ich rechne gerade in diesem Jahr mit großem Interesse, weil wir erstmals eine Damenkonkurrenz im Programm haben.

WZ: Finden Sie für so ein Turnier noch genug Sponsoren?

Raffel: Es wird immer schwerer. Viele Firmen konzentrieren sich nur noch auf Fußball. Das ist aber auch eine Chance für andere Sportarten wie Tennis, denn immer mehr Unternehmen suchen gezielt nach attraktiven Alternativen. Und da passen wir mit dem Kaarster Turnier sehr gut rein.