Der US-Wahlkampf ist wieder völlig offen

Es liegt in der Natur einer US- Präsidentschaftskampagne, dass in der Schlussphase das Duell um den Chefsessel im Weißen Haus spannend wird. Nur in Ausnahmefällen, wenn zum Beispiel ein außerordentlich beliebter Präsident für eine zweite Amtsperiode kandidiert, kann die Partie bereits im Sommer so gut wie entschieden sein.

So geschah es zuletzt vor zwölf Jahren, als Bill Clintons Sieg gegen den Republikaner Bob Dole nie zur Debatte stand. Heute ist die Lage eine andere: Unter Amerikas Wählern zeichnet sich ein Stimmungsumschwung ab. Der republikanische Kandidat John McCain hat in den vergangenen Wochen gegenüber seinem demokratischen Kontrahenten Barack Obama kräftig aufgeholt und liegt in einigen Umfragen inzwischen sogar vorn.

Diese Wende sollte Obama nachdenklich stimmen. Denn: Auch wenn der Senator ein relativer Neuling ist und nicht über jenen Amtsbonus verfügt, der 1996 seinem Parteikollegen Clinton zu einem Erdrutschsieg verhalf, hatten die Demokraten zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte eine so glänzende Ausgangsposition wie in diesem Jahr.

Die Unzufriedenheit über die Lage im Irak ist nach wie vor groß. Und für die Finanzkrise sowie die daraus resultierende Konjunkturschwäche ist kein Ende in Sicht. Ein frisches Gesicht und neue Ideen müssten den Wählern willkommen sein - könnte man glauben.

Doch Obama, dem während der Vorwahlen im Zweikampf mit Hillary Clinton ein taktisches Meisterstück gelungen war, sind Fehler unterlaufen. Als sich der Konflikt zwischen Russland und Georgien zuspitzte, sonnte sich der Demokrat an den Stränden Hawaiis, während der Kriegsheld McCain Wladimir Putin ins Gewissen redete.

Es wurden Erinnerungen wach an eine McCain-Reklame: Darin ist Obama anlässlich seiner Rede vor 200000 jubelnden Fans in Berlin zu sehen. Eine skeptische Stimme im Hintergrund stellt die rhetorische Frage: "Er ist der größte Star der Welt, doch ist er fähig, zu führen?"

Obama muss sich nun auf die Kernaussage seiner Kampagne zurückbesinnen: dass sich nämlich jeder Amerikaner fragen muss, ob er nach dem Debakel der Bush-Regierung weitere vier Jahre einen Republikaner im Weißen Haus haben will oder lieber für den Wandel stimmt.