Meinung Diesel-Gipfel: Mach mir den Kretschmann

Wer mehr von dem Diesel-Gipfel erwartet hatte, lebt in einem Traumland, in dem die Politik die Bedingungen für die Industrie diktiert, ohne besondere Rücksichtnahme. Das geschieht im Industrieland Deutschland ohnehin selten — siehe Kohleverstromung, Agrarwirtschaft oder Chemie.

Und in der Automobilbranche erst recht nicht.

Unter diesen Umständen konnte am Mittwoch nicht mehr herauskommen, als herausgekommen ist. Schon gar nicht mitten im Wahlkampf. Mach mir den Kretschmann, so lässt sich das Ergebnis des Treffens zusammenfassen. Man schützt die Bürger. Aber doch nicht so, dass es der Industrie wirklich weh tut. Immerhin, „mach mir den Dobrindt“ war nicht das Ergebnis. Das hätte geheißen: Beide Augen zu. Doch die Hersteller haben es mit der Mogelei so übertrieben, dass dieser Weg versperrt war.

Es kommen nun Software-Updates auf Kosten der Konzerne, eine billige Variante, die den Stickoxidausstoß etwas verringert, das Problem aber nicht substantiell löst. Das hätte nur der verpflichtende Umbau zu Euro-6-Fahrzeugen erreicht. Der Rest der Beschlüsse ist Kosmetik. Doch wird sich dieser Ausgang des Gipfels für die Firmen noch als ein Pyrrhussieg erweisen. Die drohenden Fahrverbote sind damit nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Wenn die Stickoxidwerte nicht bald merklich sinken, werden die Gerichte Anwohnerklagen Recht geben und Straßen schließen. Und dann kommt das ganze Dieselthema zurück.

Um die Wiederverkaufswerte der Fahrzeuge und die Aktienkurse für den Moment zu stabilisieren, mögen die gestrigen Beschlüsse reichen. Aber es wird gerade eine große Chance vertan. Die zu einer umfassenden Verkehrswende. Nicht mit einem Ruck. Aber im Grundsatz. Man spürt, dass die Zeit dafür reif ist. Hinzu kommt: Das alte politisch-industrielle Kartell, dass diese Wende bisher blockiert, hat gerade viel Legitimation eingebüßt. Eine einmalige Gelegenheit. Das sind die gleichen Voraussetzungen wie bei der Energiewende nach Fukushima.

Zum einen geht es um die Ablösung des Verbrennungsmotors, dessen Tage gezählt sind. Die Technologie dafür ist da, ob Elektro, Brennstoffzelle, oder Hybrid. Sie wartet auf starke Impulse, sei es durch Förderung, sei es durch (sanften) Zwang. Das wäre eine vorausschauende Industriepolitik. Es geht zugleich um eine neue Mobilität insgesamt. Die Bürger wissen oder ahnen, dass Megastaus, Lärm und immer breitere Straßen nicht die Zukunft sein können, egal womit die Motoren laufen.

Notwendig sind vernetzte Strukturen aus Individual- und öffentlichem Verkehr, aus motorisierter und nicht motorisierter Fortbewegung. Also ein neues Denken, dem die Rahmenbedingungen entsprechen müssen, von den richtigen steuerlichen Anreizen bis zu Grenzwerten, von der Straßenverkehrsordnung bis zu Investitionsprogrammen.

Aber Zukunft stand verkehrspolitisch noch nie auf der To-Do-Liste der scheidenden Bundesregierung. Auch nicht am Mittwoch beim Diesel-Gipfel.