Eine Wahl als blutige Machtprobe
Mehr als 50 Menschen starben bei Anschlägen während der Präsidentschaftswahl in Afghanistan.
Man kann die nicht einfache Leistung anerkennen, in Afghanistan überhaupt so etwas wie Wahlen zu inszenieren. Und die Kritik daran, dass diese Wahlen alles andere als frei und fair sind, ist so berechtigt wie banal: Für Wahlen in unserem Sinne fehlen am Hindukusch schlicht die Voraussetzungen. Die Millionen an "Geisterwählern" , der schwunghafte Handel mit Wahlscheinen oder der Verkauf von Regierungsposten sind dabei nur augenfällige Hinweise. Schwerer wiegt: Institutionen und Regeln bedeuten auch nach sieben Jahren Krieg in Afghanistan nichts, Stammeszugehörigkeiten, persönliche Loyalitäten und Beziehungen dagegen alles. Und hat man, wie Amtsinhaber Karsai, genügend Dollars, kann man sich diese Loyalitäten kaufen - zumindest auf Zeit.
Dennoch wurde die Wahl am Donnerstag sowohl von den Besatzungsmächten wie von den Taliban zur Machtprobe erklärt. Von Seiten der US-geführten Militärkoalition ist es der Versuch, eine Normalität zu inszenieren, die es tatsächlich nicht gibt. Zugleich soll die Wahl der fortgesetzten Besatzung einen Schein von Legitimität verleihen, um die wachsende Kritik an der Heimatfront zum Schweigen zu bringen. Für die Aufständischen, die kriminellen Warlords und Drogenbarone ist es die Gelegenheit, sich als die eigentlichen Herren am Hindukusch zu inszenieren. Dem Volk bleibt dabei nur eine all zu oft blutige Statistenrolle. An den tatsächlichen Machtverhältnissen ändert der Urnengang wenig, wie positiv oder kritisch man die Wahl selbst auch sehen will.
Karsai konnte sich lange auf seinen Ziehvater George W. Bush stützen. Die neue US-Administration schien den unfähigen und korrupten Paschtunen zunächst austauschen zu wollen. Allerdings fand Washington keine überzeugende Alternative. Vieles spricht dafür, dass Karsai auch künftig den viel bespöttelten "Bürgermeister von Kabul" gibt. Das sollte aber kein Alibi für ein einfaches "Weiter so" sein. Nach fast 30 Jahren Krieg in Afghanistan, dem schon sprichwörtlichen "Friedhof der Imperien", muss ein Ausstiegs-Szenario diskutiert werden. Hilflose Erklärungen wie die von Steinmeier, 2019 als Abzugsdatum sei realistisch, zeigen ja nur eines: Dass unsere Politiker gar keine Vorstellung davon haben, was unsere Truppen dort sollen.