Meinung Kein Spielraum für behutsame Lernprozesse

Meinung · Offenbar herrscht in Teilen der Bevölkerung ein Unwille zu begreifen, dass konsequentes Handeln gerade vor einer dramatischen Verschlechterung der Lage nötig ist, weil die Reaktionen zu spät kommen, wenn die Verschlechterung bereits eingetreten ist.

Verlassen sind die Geräte auf einem Spielplatz. Zur Eindämmung der Corona-Pandemie sollen nun auch die Spielplätze in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich geschlossen werden.

Foto: dpa/Marius Becker

Wer nicht hören will, muss fühlen – das ist ein fürchterlicher Satz aus der Gruft der schwarzen Pädagogik, oft verbunden mit der Androhung von Gewalt. Niemand sollte ihn heute noch sagen und kein Kind sollte ihm mehr ausgesetzt sein. Und doch taucht er aus der Erinnerung einer längst verblichenen Kindheit wieder auf, wenn man das Wechselspiel von sich täglich dramatisch verschärfenden Anordnungen und dem darauf folgenden Verhalten von Familien mit Kindern betrachtet.

Kinder haben am meisten unter den massiven Eingriffen in die persönliche Freiheit zu leiden. Ihr Bewegungsdrang ist enorm, ihr Verständnis für die Bedrohung durch das Virus naturgemäß vergleichsweise gering. Und Eltern haben derzeit mehr damit zu tun, ihre Kinder zu beruhigen, als die mit den Einschnitten verbundene Verunsicherung noch zu verstärken.

Gerade darum aber ist es eine Katastrophe und ein Beispiel für bodenlose Ignoranz, dass die Bitten und Mahnungen, Sozialkontakte eben auch auf dem Spielplatz so weit wie möglich zu beschränken, offenbar von einer Reihe von Familien mit Kindern massiv missachtet worden sind. Sie trafen sich bei schönstem Frühlingswetter weiter in vertrauter großer Runde zum gemeinsamen Spielen, als seien die bisherigen Anordnungen Anlass für ein paar entspannte Tage und nicht Ausdruck höchster Not. Aber die rasante Entwicklung lässt keinen Spielraum mehr für behutsame Lernprozesse. In der Konsequenz hat das Land nun doch auch die Spielplätze geschlossen, die tags zuvor noch als letzte Bewegungsinseln vor allem in den Großstädten geöffnet bleiben sollten.

Denn dort haben die Kinder angesichts bereits gesperrter Bäder, Sporthallen und eines eingestellten Trainingsbetriebs in den Vereinen nun kaum noch Freiräume, in denen sie ihren Bewegungsdrang zumindest eingeschränkt ausleben können, wenn ihre Familien nicht zu den privilegierten Eigenheimbesitzern mit Garten gehören.

Offenbar herrscht in Teilen der Bevölkerung ein Unwille zu begreifen, dass konsequentes Handeln gerade vor einer dramatischen Verschlechterung der Lage nötig ist, weil die Reaktionen zu spät kommen, wenn die Verschlechterung bereits eingetreten ist. Jetzt also doch die finstere Erziehungsphrase: Wer nicht hören will, muss fühlen. Was Familien noch bleibt, sind Parks, Felder, Wälder und der Rhein – so lange nicht Gruppen-Picknicks oder gemeinsame Schnitzeljagden am Ende doch eine Ausgangssperre provozieren. Drei, vier oder noch mehr Wochen mit kleinen Kindern in der Etagenwohnung festgesetzt – das wäre dann endgültig ein Elternalptraum.