Meinung Der Kirchentag muss sich nicht kleinreden

Meinung · Vermutlich wird sich der Evangelische Kirchentag, so lange er besteht, aus dieser Schublade nie ganz befreien können: dass er im Kern eine gigantische links-grün-bürgerliche Wohlfühlveranstaltung sei, streitarm, christlich-beseelt, moralisierend und vor allem auf Selbstvergewisserung bedacht.

XXX

Foto: ja/Sergej Lepke

Selbst Kirchentagspräsident Hans Leyendecker, der in der Stadt seines Herzens spürbar aufblühte, monierte, er hätte sich mehr Kontroverse und härtere Debatten gewünscht.

Aber selbst wenn es so wäre, dass es in Dortmund zu harmonisch zuging, wäre das wirklich verwunderlich? Könnte es nicht auch eine ganz gesunde Reaktion auf all die Aufgeregtheit, Aggression, Intoleranz und Hetze im öffentlichen Raum sein, dass es bei vielen Menschen eine große Sehnsucht danach gibt, mal wieder irgendwo in Ruhe und gegenseitiger Achtung zu diskutieren? Und ist nicht auch Selbstvergewisserung ein so nachvollziehbares wie berechtigtes Bedürfnis gerade bei denjenigen, um die es vor Ort oft einsam wird, weil sie sich mit ihrem Engagement für Flüchtlinge, Integration und interreligiöse Verständigung im öffentlichen Grundton nicht mehr wiederfinden?

Dieses Bedürfnis der Selbstvergewisserung gilt auch keineswegs nur für die Kirchentagsbesucher selbst. Man kann den großen Zulauf von Spitzenpolitikern, wenn man will, natürlich immer darauf schieben, dass bald wieder irgendwo Wahlkampf ist und man sich deshalb in Messehallen gerne feiern lässt, während sich der Kirchentag im Glanz der Namen sonnt und wichtig fühlt. Aber wer genauer hinsah und hinhörte, konnte in Dortmund erleben, dass auch Politiker danach dürsten zu spüren, dass die digitalen und medialen Erregungswellen vielleicht doch nicht die einzig legitimen Seismografen für die Stimmung im Volk sind. Nicht nur NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zeigten sich regelrecht dankbar dafür. Und eine Großveranstaltung, bei der sich in dieser thematischen Vielfalt Politik, Kirchen, zivilgesellschaftliche Organisationen und ein breiter Querschnitt der Bevölkerung begegnen und in konstruktiver Weise austauschen, gibt es in Deutschland und vielleicht auch Europa nicht ein zweites Mal.

In Dortmund hat das gute Wetter dazu geführt, dass die geringere Zahl an Dauergästen am Ende noch durch die Tagesbesucher kompensiert wurde, auch wenn die teils großen Lücken im BVB-Stadion gezeigt haben, dass zwei parallele Schlussgottesdienste wirklich nicht hätten sein müssen. Der Kirchentag selbst aber hat keinen Grund, sich kleinreden zu lassen – er ist auch in Zukunft jeden öffentlichen Euro wert, der in seine Organisation fließt.