Margot Käßmann: Reformerin und Menschenfischerin
Es ist zehn Jahre her, da fremdelte Margot Käßmann mit ihrer neuen Rolle als Bischöfin der hannoverschen Landeskirche. Gott müsse Humor haben, scherzte sie damals, ohne ihre Verblüffung über das Votum verbergen zu können.
Als sie gestern an die Spitze der evangelischen Kirche gewählt wurde, war von Berührungsängsten keine Rede mehr. Es sei "der Tag der protestantischen Frauen", sagte sie selbstbewusst mit einer Anspielung auf Kanzlerin Angela Merkel. Nein, die 51-Jährige ist keine dem Image geschuldete Quoten-Frau, sondern jene Persönlichkeit, die am ehesten dazu in der Lage ist, die zwischen Krise und Reform taumelnde EKD zu stärken.
Margot Käßmann wird auf Kirchentagen wie ein Pop-Star gefeiert, weil sie die Menschen mitreißt und mit den Brüchen in ihrer eigenen Biografie - die Scheidung, die Krebserkrankung - ungewöhnlich offen umgegangen ist. Niemandem gelingt es so überzeugend wie dieser Tabubrecherin, das zäh klebende Klischee der freudlos-verkniffenen evangelischen Amtskirche zu widerlegen und damit den von ihrem Vorgänger beschrittenen Weg der Reformen weiterzugehen.
Als Visionär und scharfer Analytiker hatte Wolfgang Huber die EKD aus dem Kirchenschlaf gerissen, hatte sie unter der Parole "Kirche der Freiheit" auf die Realitäten einer durch und durch säkularisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts eingeschworen.
Doch Huber gelang es nicht, die lokale Geistlichkeit in Begeisterung zu versetzen. Manchem schien es gar, als hätte ein Heer aus Unternehmensberatern die evangelische Kirche in einen leistungszentrierten Konzern verwandelt. Es wird Käßmanns große Aufgabe sein, Menschen und Reformen zusammenzubringen, aus Veränderung einen Aufbruch zu modellieren, Hubers Widerspruch aufzulösen.
Doch bei anhaltendem Schwund der Mitgliederzahlen wird sich Käßmann auch dem ganz großen Tabu-Thema nähern müssen: Das deutsche Kirchensteuermodell gehört grundsätzlich auf den Prüfstand, um die Sklerose der Gemeinden zu stoppen. Denn nicht jeder, der beim Staat den Kirchenaustritt erklärt, bricht auch mit seinem Glauben. Die Volkskirchen werden es sich nicht mehr lange leisten können, diese Menschen auszuschließen.