Meinung Schwer ertragbare Zweifel
Das Landgericht hätte sich am Mittwoch im Bonner Strafprozess um den Tod des 17-jährigen Niklas nicht an den Antrag der Staatsanwaltschaft halten müssen. Die Richter waren nicht an diese Sichtweise des Anklägers gebunden.
Doch wenn schon der Staatsanwalt wegen einer möglichen Verwechslung des Angeklagten mit einem anderen Mann seiner eigenen Anklageschrift widerspricht, ist der Spielraum für ein Gericht freilich nur noch sehr klein. Müsste es doch seinerseits überzeugt sein, es mit dem wahren Täter zu tun zu haben. Wenn nicht, gilt „in dubio pro reo“ — im Zweifel für den Angeklagten. Und das kann in einem solchen Fall schmerzhaft sein, in dem die Anteilnahme für das Opfer und seine Angehörigen zu Recht groß ist.
Aber man sollte die Sache von der anderen Seite her denken: Wie wäre es, man würde den Angeklagten trotz bestehender Zweifel verurteilen — wenn man also einen zur Tat „passenden“ Täter gefunden hätte? In einer Konstellation wie im Fall Niklas würde auch das zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Dieses „es könnte auch ein anderer gewesen sein“ würde selbst der trauernden Mutter des Getöteten nicht das Gefühl geben, dass der Fall wirklich abgeschlossen, dass der Tod ihres Sohnes gerecht gesühnt ist.
Strafgerichte können nur auf die Beweismittel zurückgreifen, die sie haben. Wenn sie im Namen des Volkes urteilen, sind sie regelmäßig auf einen Teil dieses Volkes angewiesen — in Form von Zeugenaussagen. Und hier stimmt ein Satz besonders verbittert, den Staatsanwalt Florian Geßler in seinem Plädoyer für ein „in dubio pro reo“ sagte: „Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass die meisten Zeugen ganz genau wissen, wer Niklas umgebracht hat, aber aus völlig falsch verstandenem Ehr- und Zusammengehörigkeitsgefühl das nicht sagen wollen.“ Da machen sich Menschen mitschuldig an der Erschütterung des Gerechtigkeitsgefühls im allgemeinen. Und an einer weiteren Belastung für die um ihren Sohn trauernde Mutter.