Unser Reichtum
Nur selten erlauben wir uns, innezuhalten und die Besinnung zu suchen. An Weihnachten und an den Tagen zwischen den Jahren kommen wir nicht daran vorbei. Wir befragen uns selbst: wofür wir leben oder woran wir glauben.
Eine ganz konkrete Frage kommt dieses Mal dazu: Wie wird uns im kommenden Jahr die Weltwirtschaftskrise treffen?
Mag sein, dass wir bei der Bescherung mit unserem Partner, beim Festmahl im Kreis der Familie und bei Treffen mit Freunden endlich einmal die Schlagzeilen ausblenden, die uns seit Monaten quälen. Und doch können sich die meisten dieser Frage nicht entziehen. Die Gewissheit, dass die Krise uns auch persönlich erreichen wird, erobert zunehmend unser Bewusstsein.
Umso wichtiger, dass wir uns keine Angst machen lassen. Weil kaum ein Land so gut gerüstet ist wie Deutschland. Weil kaum irgendwo auf der Welt die Menschen so gut abgesichert sind wie bei uns. Umso wichtiger aber auch, dass wir uns vergewissern, was unseren ganz persönlichen Reichtum ausmacht, der nicht nur vom Sparguthaben oder der Höhe unserer Einkünfte abhängt. Die Menschen, die wir in unserer Weihnachtsausgabe porträtieren, legen dafür ein beredtes Zeugnis ab.
Reichtum kann auch im Teilen liegen. Und mit dem Teilen ist keineswegs nur der Ausgleich materieller Ungleichheit gemeint. Gerade wenn es uns besser geht, neigen wir offenbar dazu, uns selbst zu genügen und den Anderen zu vergessen.
Das Übermaß an Zeit, das wir im Verhältnis zu unseren Vorfahren gewonnen haben, nutzen wir jedenfalls kaum dazu, uns anderen Menschen zu widmen. Kinder, die sich selbst überlassen sind, Absteiger, die von ihrem ehemaligen sozialen Umfeld ausgeblendet werden, und Alte, die wir einem anonymen Betreuungsapparat überlassen, sind die Leidtragenden einer Gesellschaft, in der sich jeder selbst der Nächste ist.
Vielleicht kann ja die Krise unseren Blick dafür öffnen, dass nicht nur der Staat und eine prosperierende Wirtschaft Verantwortung für unser Wohlergehen tragen. Vielleicht findet in diesen Tagen der Selbstvergewisserung ja jeder einen Platz, an dem er beweisen kann, dass ihm die Anderen nicht egal sind. Ob wir das Nächstenliebe oder Solidarität nennen, spielt keine Rolle.