Premiere „Hoffmanns Erzählungen“: Ein Figuren-Labyrinth in Spitzweg-Idylle

„Hoffmanns Erzählungen“ ist jetzt auch im Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen.

Düsseldorf. „Hoffmanns Erzählungen“ — das fantastische Musikdrama von Jacques Offenbach wird an fast allen Opernhäusern der Welt gespielt. So stand bis 2009 in der Rheinoper Christof Loys gerühmte Inszenierung auf dem Spielplan. Nun wandert das Stück etwa 100 Meter Luftlinie — ins Schauspielhaus. Wozu?

Die Frage beschäftigte viele Besucher der Premiere der ambitionierten Regietat von Markus Bothe: Sie irrlichtert zwischen zahlreichen Figuren, die der Fantasie des alkoholisierten Titelhelden entspringen, sie bleibt aber im Ansatz stecken und erstickt im Aktenstaub. Zwar birgt das Schicksal des in sich zerrissenen Kammergerichtsrats Ernst Theodor Hoffmann viele anrührende Momente. Der preußische Jurist, Dichter, Theaterdirektor, Melancholiker, untreue Ehemann, der besonders jugendlichen Frauen nachstellt, trifft — in der Oper, wie im Schauspiel — auf seine erfundenen Gestalten. Und wird Opfer seiner Fantasie.

Doch so sehr sich brillante Schauspieler wie Christian Ehrich als Hoffmann und Moritz Führmann als Muse in Mephisto-Gestalt um Atmosphäre und verständliche Handlung mühen, und dazu Offenbachs Ohrwurm-Arien schnulzen, schnurren oder jazzen — die Stränge zu entwirren und das Figuren-Labyrinth zu durchschauen, gelingt vielleicht den Kennern der Offenbach-Oper.

Doch Letztere seien gewarnt; denn ihnen dürften die zauberhaften Motive und Offenbachs virtuose Arien für Tenor und Soprane fehlen. Zumal Markus Bothe den Opernstoff noch mit anderen Hoffmann-Texten und Dialogen verquirlt.

Die Gesänge so richtig gegen den Strich zu bürsten, das wagt Bothe kaum. Die Songs und Musikstücke (mit Klavier, Cello, Akkordeon und Schlagzeug) erinnern an Brecht/Weill-Lieder, dann an Swing und Chansons, vorgetragen im Diseusenstil der 20er Jahre. Das klingt aber weder schräg noch richtig schön schrill.

Tatort: Ein Empire-Saal ohne Dach, der mit Büchern und Akten vollgestopft ist. Eine mit Staub bedeckte Höhle, in der Hoffmann sich in seine Fantasien flüchtet. Mit einer Flasche in der Hand taumelt er durch seine Märchenwelt, sieht plötzlich seinen „Sandmann“ in einem Stummfilm, verliebt sich in Julia, Antonia und selbst in die Puppe, dessen Konstrukteur Coppelius ebenfalls Hoffmanns Gruselkabinett entstammt und dort als Blutsauger auftaucht. An der Seite ein Antikklavier und die Musikanten: So lässt Ausstatter Robert Schweer eine seltsame, in Grau getünchte Spitzweg-Idylle entstehen, die sich durch raffinierte Beleuchtung zu einem surrealen Dekor auswächst. In Momenten ist der „Tanz der Vampire“ nicht fern.

Am Ende, wenn Hoffmann sein Spiegelbild an Mephisto in Gestalt einer venezianischen Witwe verkauft, mutiert die Höhle kurz zur Hölle, bevor Hoffmann dann wieder in die Arme seiner treuen Gattin fällt.

Doch trotz Schwächen wirkt der knapp zweistündige Parforceritt durch die Hirngespinste eines Trunkenboldes manchmal sogar unterhaltsam. Zu verdanken ist dies dem Tempo, einem skurrilen Comedy-Tonfall und den Schauspielern. Christian Ehrich spielt den Hoffmann als großen träumenden Jungen, der vor seiner selbstgeschaffenen Lasterwelt zurückschreckt und sich in romantischer Melancholie einnistet. Die Konfrontation mit der Realität beschert ein alter Richter mit Locken-Perücke (hinreißend komisch: Verena Reichardt). Immer wieder stellt er die Frage, ob sich der Jurist seiner Verfehlungen bewusst ist und sich schuldig bekennt. Ein Running Gag, der sich bis zum Finale aber abnutzt.

Wer alle Anspielungen verstehen will, sollte vorher das Opernlibretto lesen. Das allein ist so kompliziert, dass selbst versierte Opernregisseure davor kapitulieren.

Regie

Zwei von fünf WZ-Punkten

Schauspieler

Vier von fünf WZ-Punkten

Bühnenbild

Vier von fünf WZ-Punkten