Monheim: „Kein Einziger kehrte zurück“
Auch in Monheim wurden die Juden verfolgt und deportiert. Zeitzeugen erinnern sich.
Monheim. Heute vor 70 Jahren, vielleicht gerade in diesem Augenblick, brach auf dem Sandberg die unkontrollierte Gewalt los. Vom jüdischen Friedhof hallte ohrenbetäubender Lärm durch die Straßen. Es war der Lärm nationalsozialistischer Schläger, die jüdische Grabsteine umstießen und Gräber schändeten. Man schrieb den 8. November 1938.
Was die braune Ideologie seit 1933 schleichend propagierte, fand in dieser Nacht seinen Ausdruck in systematischer antijüdischer Aggression - auch in Monheim, auf dem Land, in der Stadt, im Nachbarhaus. Etwa 3500 Einwohner zählte die Rheingemeinde damals. Von 1933 noch 16 jüdischen Mitbürgern lebten 1938 noch zwölf in ihrer Heimatstadt. Nur drei von ihnen entkamen den Schrecken des Holocaust drei Jahre nach der Nacht vom 9. auf den 10. November.
Während jener Nacht wurden im ganzen Land in einer staatlich legitimierten "Judenaktion" hunderte Juden ermordet und tausende verschleppt. Synagogen gingen in Flammen auf, und jüdische Häuser, Wohnungen und Geschäfte wurden geplündert.
Was aber geschah in Monheim? Der Historiker Karl-Heinz Hennen (66) hat recherchiert: "In Monheim ist genau das passiert, was landesweit passiert ist. Alle Wohnungen der Juden und damit deren Existenz wurden vernichtet. Ihre Langenfelder Synagoge brannte lichterloh."
Von den Nazis wurde dies als Reaktion auf die Ermordung des Diplomaten Eduard vom Rath durch einen Juden begründet, als "spontaner Volkszorn". Das sei ein Märchen, meint Hennen: "Die Nazis wollten so den Aufruf zur systematischen Schikane vertuschen." Er zitiert Presseberichte, die von einer Kundgebung im Saal Schmickler handeln: "So was fand nach dem gleichen Muster im ganzen Land statt, sogar die Reden stimmten überein."
Danach zogen die Nazis und einfache Bürger als deren Handlanger durch die Stadt und hinterließen eine Spur der Verwüstung.
Der Monheimer Pfarrer Monsignore Theodor Buter (78) erinnert sich an eine andere Szenerie, in der er als Achtjähriger aufwuchs, betont aber: "Der große Teil hat Distanz bewahrt. Es gab eine fanatische Nazigruppe und einige üble Leute, die die Aktion anzettelten."
Buter war Ministrant unter Pfarrer Böhm, der sich gegen das Dritte Reich aussprach, in seinen Predigten vor Hitler warnte und dafür im KZ Dachau ermordet wurde. Man sei empört gewesen, so der 78-Jährige, aber man habe im stummen Entsetzen nichts sagen oder tun können, ohne sich zu gefährden.
Fernab von der Vorstellung ängstlicher Selbsterhaltung bewegt sich Hennen: "Schon vorher wurden Juden drangsaliert. Um sich zu retten, haben sie ständig ihren Wohnsitz innerhalb der Stadt gewechselt. Und der Saal Schmickler musste am Abend vor dem Pogrom wegen Überfüllung geschlossen werden.
Das kann man nicht ,distanziert’ nennen." Das Gros der städtischen Bevölkerung habe die Demolierungen nicht nur toleriert, sondern befürwortet: "Die Nachbarschaft stand dabei und hat geklatscht." Dass sich Hennen mit diesen Aussagen nicht überall Freunde machte, bewies seine Ausstellung 1974 zur Geschichte der Monheimer Juden, als er anonyme Drohungen erhielt.
"Die Leute haben geschlottert", erzählt hingegen ein Monheimer (80), der nicht genannt werden will. "Man wusste, dass es nicht nur die Juden traf, sondern alle, die das Maul aufmachten." An eines erinnere er sich genau: "Ich hörte, wie mein Vater einem jüdischen Händler riet, zu fliehen. Der entgegnete sogar, er dulde nicht, wie mein Vater über unsere Regierung herziehe."
Wenige Tage nach dem 10.November seien die Monheimer zum Alltag zurückgekehrt, weiß Hennen: "Die geschundenen Juden waren in ein Haus gepfercht worden, von wo aus man sie ins KZ brachte. Kein einziger kehrte zurück."