Der König von Niederheide

Richard Osburg ist in Kassel aufgewachsen und lebte lange in Berlin. Doch Schiefbahn nennt er seine Heimat.

Schiefbahn. Besser spät als nie: Richard Osburg wurde im Dezember 1941 in Heiligenstadt in Thüringen geboren, nach dem Krieg wuchs er in Kassel auf, 1964 zog es ihn nach Berlin. Durch Zufall lernte er Schiefbahn kennen und lieben. Seit 1971 lebt er dort und gesteht: "Ich fühle mich sauwohl - und ich fühle mich als Schiefbahner." Er engagiert sich in der Gemeinde St. Hubertus und bei den Niederheider Schützen, wo er vor zwei Wochen zum zweiten Mal den Königsvogel von der Stange geholt hat.

Der Mann, dem in seinem Heimatort Kassel zu wenig los war, der sich im Berlin der späten sechziger Jahre von Mauern und Stacheldraht eingesperrt fühlte, hat ausgerechnet in Schiefbahn das gefunden, was man als Heimat bezeichnet. Aber immer schön der Reihe nach.

"Ich bin in einem Frauenhaus groß geworden", erzählt Richard Osburg, der für einen Moment seinen jungenhaften Charme verliert und ungewöhnlich ernst wird: "Mein Vater ist im Krieg geblieben. Noch Jahrzehnte später hatte meine Mutter ihm immer einen Zettel zu Hause hinterlassen für den Fall der Fälle: "Bin mal eben . . ." Vergeblich - der Soldat sollte verschollen bleiben.

1964 lockte Richard Osburg, der eine Lehre im Heimtextilieneinzelhandel absolviert hatte, die Berliner Luft. Auch wenn ihm einige Jahre später die Luft zum Atmen fehlte in der abgeriegelten Stadt, er lernte dort seine Frau Jutta kennen, eine waschechte Berlinerin. Durch Beziehungen wechselte er in die Versicherungsbranche: "Richtiges Klinkenputzen war da angesagt", erinnert sich Osburg. Und: "Ich bin einmal zweiter Bundessieger im Glasversicherungsverkauf geworden - da lacht man sich heute kaputt drüber."

Der begeisterte Tennisspieler wurde zu einem Turnier nach Oedt eingeladen. Und vom Berliner Tennisclub kannte er eine Stewardess, die aus Schiefbahn stammte. Richard Osburg schaute sich den Ort an - und war begeistert: "Die holländische Art, die kleinen Häuser, die Infrastruktur, alles so schön sauber, das gefiel mir, fortan lag ich meiner Frau mit dem Umzug in den Ohren." Die sagte ja und am 1. Dezember 1971 wurden die Osburgs Schiefbahner. Ihre Adresse: Alte Landstraße 9.

Der Neubürger erinnert sich noch genau an seinen ersten Besuch in einer Niederheide Kneipe: "Die war rappelvoll, mit allen war ich gleich per du. Hans Möllges verkaufte Karten für den Winterball der Schützen, da habe ich sofort zugegriffen." Wenig später war auch er Mitglied der Bruderschaft.

Langeweile ist für ihn kein Thema. Zwar muss auch er dem Alter Tribut zollen - Tennis und Kegeln sind nicht mehr möglich. Aber der Beerdigungsdienst in der Pfarrgemeinde ist für ihn eine ausfüllende Beschäftigung. Vorigen Monat entschloss er sich, noch einmal Schützenkönig zu werden.

Der begeisterte Tänzer ist mit seinem Lebensweg zufrieden, sein Nahziel klingt bescheiden: "Ich habe mit dem Ehrenpräsidenten Hans Brocker gewettet, dass ich bis zum Schützenfest jeden Monat ein halbes Kilo abnehme." Sein Wunsch: "Ich möchte in Schiefbahn alt werden, und zwar bei möglichst guter Gesundheit."