Grevenbroich. Sie waren Kaufleute, Lokalpolitiker, engagiert in Vereinen, bei der Feuerwehr und beim Roten Kreuz. Aber die Nazis sahen in ihnen nur eines: Juden, die gnadenlos gedemütigt und verfolgt wurden, bis zur Vernichtung. Auch in Grevenbroich.
Jetzt erinnert eine Ausstellung in der Versandhalle an die Verfolgten und Ermordeten. Unter dem Titel "Grevenbroicher Gesichter - jüdisches Leben in unserer Stadt" zeigt sie auf Bild- und Texttafeln jüdische Familiengeschichten aus Grevenbroich.
Schreckliche Ironie: Der Großteil der gezeigten Porträtfotos stammt nicht aus den Familienalben, sondern aus den NS-Verwaltungsakten. 1938 wurden alle Juden gezwungen, Kennkarten zu beantragen und die zusätzlichen Namen "Israel" oder "Sara" anzunehmen. Jetzt tragen die Dokumente dazu bei, den vergessenen Opfern buchstäblich ein Gesicht zu geben. Die Menschen hinter den historischen Daten zu zeigen, das ist erklärtes Ziel von Ulrich Herlitz, der die Ausstellung gemeinsam mit Thomas Wolff vom Stadtarchiv zusammengestellt hat. "Mit jedem Namen, den man dem Vergessen entreißt, holt man die Person in die Erinnerung zurück", so seine Erfahrung.
Herlitz, der heute als Referent des Bürgermeisters tätig ist, hat es vor 20 Jahren erstmals erlebt: "Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert und war am Gymnasium im Geschichts-Leistungskurs, aber noch mit 20 Jahren wusste ich nicht, wo Auschwitz liegt." Das änderte sich, als Herlitz Marianne Stern kennenlernte. Als Überlebende des Ghettos von Riga konnte sie die Orte des Schreckens geografisch verorten. Und sie berichtete aus eigener Erinnerung, was der Geschichtsinteressierte nur aus Büchern kannte.
Andere Überlebende kehrten Deutschland den Rücken. Josef Bacharach, Inhaber des modernsten Kaufhauses der Stadt, emigrierte nach Palästina, wo er sich mehr schlecht als recht durchschlug. Andere hatten weniger Glück. Die Spur des angesehenen Kaufmanns Lazarus Goldstein beispielsweise verliert sich in Minsk.
Von 230 Grevenbroicher Holocaust-Opfern weiß man heute. Mit dem jüdischen Leben wurde ein Teil der Stadtkultur ausgelöscht, auch dies zeigt die Schau. Jüdische Bürger haben die Stadtgeschichte mitgeprägt. Nicht nur in Elsen und der Innenstadt, auf die sich die Ausstellung beschränkt. In jedem Stadtteil haben vor der NS-Verfolgung wohl 30 bis 50 Juden gelebt, weiß Ulrich Herlitz. "Ihre Geschichte wäre Stoff für eine spätere Ausstellung."
“ Die Ausstellung ist bis Ende Januar jeweils samstags und sonntags von 14bis 16 Uhr geöffnet. Am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, findet eine Gedenkstunde statt. Vom 24. Februar bis 30. März ist die Ausstellung im Museum auf der Erckens-Insel zu sehen.