Dormagen: „Erziehungscamps wie in den USA lehne ich ab“

Jugendkriminalität: Hans Scholten, Leiter des Raphaelshauses, ist Mittwoch zu Gast in „Hart, aber fair“.

Dormagen. Was ist die angemessene Antwort auf jugendliche Gewalttäter? Eine Frage, die derzeit viele Gemüter bewegt und eine Grundsatzdiskussion ausgelöst hat. Auch bei "Hart, aber fair" in der ARD wird das Thema heute Abend ab 21.45Uhr diskutiert. Eingeladen in die Diskussionsrunde ist auch Hans Scholten als Leiter des Jugendhilfezentrums Raphaelshaus in Dormagen und als Mitglied des Bundesvorstandes für katholische Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe.

WZ: Herr Scholten, was halten Sie davon, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch das Thema der Strafverschärfung für gewalttätige Jugendliche für Wahlkampfzwecke nutzt?

Hans Scholten: Grundsätzlich halte ich davon nichts, denn dadurch kochen viele Themen hoch, die es verdienen, auf andere Art intensiv und qualitativ seriös diskutiert zu werden.

WZ: Was läuft bei der aktuellen Diskussion falsch?

Scholten: Dadurch, dass das Thema im Wahlkampf benutzt wird, schalten die Politiker auf Autopilot. Sie folgen dem Leitstrahl ihrer Partei. Sie bleiben bei ihrem Standpunkt, egal welche Gegenargumente es gibt. Die Diskussion automatisiert sich. Es ist wichtig, dass Themen wie etwa die Kriminalität ausländischer Jugendlicher enttabuisiert werden, aber ich wünsche mir und den Jugendlichen, dass dies auf einem anderen Niveau stattfindet.

WZ: Können Sie verstehen, dass die Emotionen bei solchen Vorfällen wie dem Überfall auf einen Rentner in der Münchener U-Bahn hochkochen?

Scholten: Natürlich! Ich bekomme einen Wutanfall, wenn ich diese Bilder sehe. Ein solches Verhalten ist nicht akzeptabel. Es ist unfair und gemein. Diese Täter bewegen sich jenseits jeder Toleranz. Niemand, der sich als pädagogischer Fachmann versteht, würde sie in Schutz nehmen.

WZ: Was halten Sie von dem Vorschlag, das Strafmaß für Jugendliche zu erhöhen?

Scholten: Wir haben in Deutschland kein Gesetzesdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit. Die Jugendgesetze reichen aus. Aber bis sie in Verfahren angewendet werden, vergeht manchmal ein halbes bis ganzes Jahr. In dieser Zeit steckt der Jugendliche in seiner Clique, in der er sich beweisen will. Die Taten duplizieren sich, bevor Konsequenzen folgen.

WZ: Wo ist die Lösung? Im Erziehungscamp?

Scholten: Erziehungscamps nach amerikanischem Vorbild lehne ich ab. Auch für kriminelle Jugendliche müssen in der Pädadogik drei Grundprinzipien gelten: Konsequenz und Wertschätzung, aber vor allem das Aufzeigen von Zukunftsperspektiven in der Gesellschaft.

WZ: Ihre Erfahrung in ihren eigenen Gruppen für kriminell gewordene Jugendliche haben gezeigt, dass sich diese Konzept bewährt hat?

Scholten: Weder bloße Kuschelpädagogik noch militärischer Drill können dauerhaft etwas bewirken. Wichtig ist die Kombination aus den genannten Prinzipien. Konsequenz kann auch Warnschuss-Arrest bedeuten. Bei den meisten straffällig gewordenen Jugendlichen im Raphaelshaus hat sich der gerichtlich verordnete Wochenend- oder Ferien-Arrest als heilsamer Schock erwiesen. Wichtig ist aber, dass die Jugendlichen anschließend in pädagogischen Gesprächen die Situation verarbeiten, damit sie sich eingestehen, dass die Zeit im Knast etwas in ihnen bewegt hat.