Schock für Neusser Grundstückbesitzer So krass kassiert die Stadt ab

Neuss · Wenn Gerrit Jung in anderthalb Jahren in Rente geht, muss er mit 500 Euro monatlich auskommen. Entsprechend groß ist der Schock über seinen jetzt erhaltenen Grundsteuerbescheid. Der 64-Jährige soll nämlich das Elffache bezahlen. Wie kann es dazu kommen und wie können sich Bürger wehren?

Für Gerrit Jung – hier in seiner Werkstatt – steht mit Blick auf die drastische Grundsteuererhöhung fest: „Da muss ein Fehler vorliegen.“

Foto: Simon Janßen

Nur Sekunden nach dem Blick auf den Bescheid stand für Gerrit Jung fest: „Keine Chance, das ist für mich nicht stemmbar.“ Der 64-Jährige hatte zwar mit einer Erhöhung der Grundsteuer gerechnet, dass sich der Betrag aber nun fast verelffacht hat – nämlich von 199 auf 2260 Euro –, ist für ihn ein finanzieller Albtraum. Denn wenn er Mitte 2026 in Rente geht, wird er nach eigenen Angaben lediglich 500 Euro monatlich erhalten. Das 339 Quadratmeter große Grundstück an der Gladbacher Straße, auf dem Gerrit Jung eine eigene Werkstatt für Oldtimer-Restaurationen hat, kaufte er 2011, um sich auch nach dem Ruhestand seine schmale Rente mit Reparaturen etwas aufbessern zu können.

Das Problem: Die Zahlen und ermittelten Werte, die auf dem Bescheid zu finden sind, seien vollkommen unverständlich und gerade für Laien nicht nachzuvollziehen. Deshalb wird Jung nun Kontakt zum Finanzamt aufnehmen, um herauszufinden, was hinter der Verelffachung steckt. Eigenen Berechnungen zufolge – anhand eines Online-Leitfadens – kommt der 64-Jährige „lediglich“ auf eine Verdopplung der bisherigen Grundsteuer. Für Gerrit Jung steht fest: „Da muss ein Fehler vorliegen.“ Auf dem Grundstück steht schließlich lediglich eine alte Werkstatthalle (unbeheizt und ohne Sanitäranlage) aus dem Jahr 1955 sowie ein 70 Quadratmeter großer Anbau von 2018. Die Neuberechnung des kleinen benachbarten Grundstücks, auf dem eine kleine vermietete Wohneinheit steht, sei hingegen in einem „normalen“ Rahmen, so Jung.

Mit seinem Schicksal steht der Schrauber von der Gladbacher Straße bei Weitem nicht allein dar. Auch in Krefeld war zuletzt ein Fall öffentlich geworden, in dem ein Grundstück die Verelffachung der Grundsteuer beklagte. Bei „Haus und Grund“ gehen pro Tag circa zehn Beschwerden aus dem Rhein-Kreis Neuss über satte Grundsteuererhöhungen ein. „Ein großes Thema“, sagt Niclas Carouge, Rechtsanwalt und Mitglied der Geschäftsführung, im Gespräch mit der Redaktion. Bürger hätten zwar die Möglichkeit, Widerspruch gegen den Zahlbescheid einzulegen, davon rät der Experte allerdings in den allermeisten Fällen ab. „Es wird dabei nur überprüft, ob der Grundsteuerwert richtig mit dem Hebesatz multipliziert wurde – und nicht, ob überhaupt der Grundsteuerwert richtig ermittelt wurde.“

Um sich zu wehren, hätten Grundstückseigentümer früher ansetzen und bereits Einspruch gegen den Grundsteuerwertbescheid einlegen müssen. Dafür – und auch für den Grundsteuermessbescheid – wurden entsprechende Musterschreiben zur Verfügung gestellt. „Viele unserer Mitglieder haben davon Gebrauch gemacht“, sagt Carouge.

Doch wie kann es überhaupt zu solchen drastischen Erhöhungen wie im Falle des Neussers kommen? Wie die Stadt auf Anfrage mitteilt, hängt dies insbesondere von der Wertentwicklung des Grundstückes ab. „Das neue Grundsteuerrecht beruht auf einer neuen Form der Wertermittlung, die sich im Wesentlichen an den sogenannten Bodenrichtwerten orientiert“, heißt es aus dem Rathaus. Der aktuelle „Grundsteuerwert“ sei also mit dem alten „Einheitswert“ nur bedingt vergleichbar. Daher komme es in manchen Fällen auch dazu, dass sich die Grundsteuer im Einzelfall erheblich erhöhen könne. In anderen Fällen bleibe die Grundsteuer in etwa gleich oder die Eigentümer müssten sogar weniger zahlen.

Stadt Neuss: Auch Fehlberechnungen sind möglich

Darüber hinaus sei es stellenweise aufgrund von zum Beispiel fehlerhaften Angaben in der Erklärung zu Fehlberechnungen gekommen. „So wurden Fälle bekannt, in denen Eigentumswohnungen das Grundstück der gesamten Wohnanlage zugerechnet wurde. In derartigen Fällen dürfte eine Überprüfung des Finanzamtes erforderlich sein“, schreibt die Stadt.

Grundsätzlich bestehe zwar die Möglichkeit, beim Finanzamt ein Antrag auf Neubewertung zu stellen, dieser wirke sich unter Umständen aber erst auf die im Jahr 2026 zu zahlende Grundsteuer aus. Auf schriftlichen Antrag beim Steueramt könne zudem eine Ratenzahlung oder Stundung der Grundsteuer erfolgen. In diesem Antrag sollte von den Grundstücksinhabern ein Vorschlag hinsichtlich der Höhe, sowie des Zeitpunktes der Zahlung(en) erfolgen. Im Antrag ist zudem zu begründen, warum keine anderen finanziellen Möglichkeiten bestehen (zum Beispiel auch durch Kreditaufnahme) die Grundsteuerforderung zu begleichen. Dabei fallen dann allerdings Zinsen an. Eine Aussetzung der Vollziehung kann nur gewährt werden, wenn zuvor das Finanzamt die Aussetzung des Grundsteuermessbescheides gewährt hat. Was die Stadt in dem Gesamtkontext betont: Durch die Anpassung der Hebesätze werde nicht mehr Geld eingenommen als vorher. Und tatsächlich gibt es auch die Fälle, in denen Grundstückbesitzer nun weniger bezahlen müssen. „Die melden sich aber in der Regel nicht bei uns“, sagt Niclas Carouge von „Haus und Grund“.