Das Warten auf den heilsamen Schock

Die Große Koalition versucht, eine Balance auf geringem Niveau zu finden.

Im Unterschied zu normalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) hat die prominenteste NGO der Republik das Problem, dass es keinen guten Eindruck macht, wenn sie andauernd die Regierung kritisiert, weil sie diese schließlich selbst ist. Also versucht die Große Koalition, eine Balance auf geringem Niveau zu finden: Weniger kritisieren und ein wenig regieren.

Diese Übung spiegelt sich in der letzten Koalitionsrunde vor der Sommerpause. SPD-Chef Kurt Beck greift eingangs CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer wegen dessen Äußerungen über die "Selbstdemontage der SPD" an, womit er zugleich demonstrieren will, dass er in seiner Partei noch über Autorität verfügt.

Dann geht man zur Tagungsordnung über, auf der an erster Stelle das Projekt steht, das als Durchbruch verkauft werden soll. Die Kfz-Steuer wird vollständig in die Zuständigkeit des Bundes übertragen. Es folgen vage Beschlüsse, Kindergeld und Freibeträge zu erhöhen und den Arbeitslosenbeitrag zu senken. Konkrete Zahlen werden auf die Zeit nach den Landtagswahlen in Bayern vertagt.

Nach dem Koalitionsausschuss beginnt der Wettkampf um die Deutungshoheit, wobei alle Parteien ihre Positionen angeblich durchgesetzt haben, am meisten der wahlkämpfende CSU-Chef Erwin Huber. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) teilt mit, man sei einander nicht an die Gurgel gegangen, ganz so, als habe damit jeder rechnen müssen.

Und im Saarland denkt Ministerpräsident Peter Müller (CDU) laut über die Zukunft der Koalition nach, weil er fürchtet, dass seine Partei in den Abwärtssog der SPD gezogen wird.

Den Abwärtssog, der tatsächlich beide Volksparteien erfasst hat, erzeugen sie allerdings gemeinsam, indem sie nicht regieren und einander genau dafür kritisieren. Unklar ist, an welchem Tiefpunkt Union und SPD erkennen, was sie Bürgern und sich selbst damit antun.

Im Sommer entscheiden die Parteien über die Kandidaturen für die nächste Bundestagswahl. Mit Blick auf die Umfragewerte werden die Listen zu Streichlisten. Dann wird möglicherweise manchem klar, was "Nichtregieren" auch bedeuten kann. Man wird abwarten müssen, ob dann ein heilsamer Schock einsetzt. Die Hoffnung allerdings bewegt sich in engen Grenzen.