Den Volksparteien fehlt die Bürgernähe

Nach dem Debakel der CSU in Bayern

Manchmal enthüllen Versprecher mehr Wahrheit als korrekte Formulierungen. Als CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla versuchte, den Absturz der CSU mit dem Argument zu relativieren, Freien Wähler gehörten auch zum bürgerlichen Lager, da nannte er die Partei "Freiwillige Wähler". Gleich zweimal, was zwar keine Tiefenanalyse von Pofallas Unterbewusstsein ermöglicht, aber schön ins Bild passt.

Der freiwillige Wähler, den man auch den wählerischen Wähler nennen könnte, tauchte zuerst in Ostdeutschland auf. Er wählte mal CDU, mal SPD, weshalb er von beiden als launischer Wähler betrachtet wurde. Doch seit die SPD in Nordrhein-Westfalen nach 39 Jahren die Regierungsmacht an die CDU verlor, ist der wählerische Wähler auch im Westen bekannt.

NRW und Bayern lassen sich durchaus vergleichen. In beiden Ländern regierten Volksparteien im Bewusstsein, dass der Wähler pflichtgemäß sein Kreuz abgeben werde. Die Gewissheit in NRW resultierte aus der Zeit von Johannes Rau, der als Schutzmacht der kleinen Leute verehrt wurde.

Damals schien die SPD so unbesiegbar wie die CSU. Die vermeintliche Regierungsgarantie verführte die Sozialdemokraten zu einiger Überheblichkeit, weshalb Jürgen Rüttgers sich heute strategisch an Johannes Rau orientiert.

Auch die CSU hat zuletzt bloß noch den Eindruck vermittelt, Macht haben zu wollen, um Macht demonstrieren zu können, damit sie schon dank dieser Demonstration gewählt werde. Für die Belange der Bürger hat sie sich kaum mehr interessiert.

In Ostdeutschland wählt der einst "launische" Wähler heute immer zuverlässiger, und zwar die Linke. Während die SPD - beispielsweise in NRW - sich nicht einmal bemühte, die Hartz-Reformen zu erklären, half die damalige PDS den Menschen - beispielsweise in Thüringen -, die Anträge auszufüllen. Allmählich entwickelt sich die Linke im Osten zur Volkspartei.

Die SPD hat erlebt, wie neue Parteien aus einem Körper ausbrechen, und die Union lernt es gerade. Die Freien Wähler der CSU sind die Linkspartei der SPD im Westen. Statt nur mit Abwehrkämpfen zu reagieren, könnten die Volksparteien von den Neuen auch einiges über Bürgernähe lernen.