Karlsruher Urteil: Bis hierhin – und ein bisschen weiter
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe stärkt die Rechte des Bundestages.
Dieses "Ja, aber"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist keine Überraschung. Der Karlsruher Richterspruch dramatisiert nicht die Zangengeburt EU-Reform. Der Lissabon-Vertrag wird nur unwesentlich aufgehalten. Politisch spannend ist das Urteil gleichwohl. Es wird weit über den Sommer des Nachsitzens und Nachbesserns hinaus die Parlamentarier umtreiben.
Da muss man der Linkspartei beipflichten: Der Zweite Senat hat den Abgeordneten eine "Nachhilfestunde" gegeben. Man ist es eher gewohnt, dass der Gesetzgeber zu weit geht, und dass die Karlsruher Richter ihm Grenzen aufzeigen. Gestern lief es andersherum: Bis hierhin - und noch ein bisschen weiter ...
"Mischt euch ein" - das ist die Botschaft. Die Parlamentarier sollen Macht und Kompetenzen nicht unreflektiert nach Europa abtreten. Von Ausnahmen abgesehen, dürfen sich fast alle im Hohen Haus angesprochen fühlen. Ein Land, das von einer Großen Koalition geführt wird, ist anfällig. Wenn die Mehrheit so erdrückend und selbstgefällig ist, leiden darunter parlamentarische Ur-Instinkte, nämlich der Wille zur Kontrolle. Wichtiger als dieser Weckruf-Aspekt ist, dass die Richter eine rote Linie ziehen. Sie definieren, wo die Brüsseler den Vertrag strikt und nicht extensiv auf Kosten der Nationalstaaten auslegen dürfen.
Die Richter machen klar, dass das EU-Parlament keine "Leitentscheidungen" trifft; es ist dazu nicht berufen. Das ist nicht schmeichelhaft, aber die Wahrheit. Im Urteil ist von einem strukturellen "Demokratiedefizit" die Rede. Darum die rote Linie um den Nationalstaat, darum die Verpflichtung an den Bundestag, nichts durchzuwinken und jede Kompetenz klar abzugrenzen. Mehr Europa gibt es nur mit einem Mehr an Demokratie.
Die Parlamentarier gewinnen: Sie haben in Straßburg ein Argument mehr, um gegen ihre relative Machtlosigkeit aufzubegehren. Ihren Berliner Kollegen müssen die Ohren klingeln. Es ist peinlich, wenn man bescheinigt bekommt, unter seinen Möglichkeiten geblieben zu sein.
Wenn das Parlament die EU-Politik bestimmt, hat die Bundesregierung aber wenig Spielraum. Über allem geistert dann der Parlamentsvorbehalt. Flexibel ist das nicht. Aber das war nie Karlsruhes große Sorge.