Ein Urteil und seine Lehre für die Lehrer

Spick mich: Anonyme Kritik im Internet wird nicht schrankenlos erlaubt.

Die Stiftung Warentest vergibt Noten für Kühlschränke. Zeitungskommentatoren watschen Politiker ab. Heidi Klum und Dieter Bohlen verschrecken junge Mädchen und semi-talentierte Sänger mit ihren Bewertungen oder stellen sie bloß. All das geschieht mit offenem Visier. Wer sich wehren will, weiß, an wen er sich zu wenden hat. Ganz anders beim Internetforum Spickmich, in dem Schüler ihre Lehrer bewerten. Da darf im Schutz der Anonymität angeprangert werden - und jetzt auch noch mit höchstrichterlichem Segen.

Das klingt nach bedenklicher Ausweitung der Meinungsfreiheit zu Lasten des Persönlichkeitsrechts. Das klingt nach Dammbruch. Schließlich ist ein ganz ähnliches Projekt längst angedacht: Die AOK will ihre Versicherten aufrufen, Ärzte im Internet zu bewerten. Die Ärzte könnten das doch entspannt sehen, meinte kürzlich Spickmich-Chef Tino Keller. Sein Argument: Gute Ärzte würden durch Bewertungsportale doch nicht plötzlich zu schlechten Ärzten.

Gewiss nicht, aber ihre Patienten werden abwandern. Und dies ist der Grund, warum das Spickmich-Urteil eben nicht richtungsweisend sein wird. Der Bundesgerichtshof hat die klagende Lehrerin auch deswegen zur Verliererin erklärt, weil die Lehrerbewertung "geringe Aussagekraft und Eingriffsqualität" hat. In die Alltagssprache übersetzt heißt das: Lehrer, habt euch mal nicht so. Hinsichtlich einer Ärztebewertung im Internet, bei der es schnell um wirtschaftliche Existenzen gehen kann, ist die "Eingriffsqualität" höher, das Urteil würde anders ausfallen.

Lehrer, habt euch mal nicht so- diesen Appell sollte sich diese Berufsgruppe zu Herzen nehmen. Dass die Schüler Spickmich nutzen, zeigt den Bedarf, den sie offensichtlich für die Lehrerbewertung sehen. Für die Schüler steht schließlich viel auf dem Spiel. Das Gegenüber entscheidet durch seine Benotung über die Verteilung von Berufs- und Lebenschancen. Diejenigen, die die anonyme Internetbefragung kritisieren, könnten diese überflüssig machen. Indem sie an der einzelnen Schule offensiv mit Fragebögen auf Schüler und Eltern zugehen. Und das tun, was sie mit ihrer Kommentierung unter einer Schülerklausur gern selbst einfordern: sich die Ergebnisse zu Herzen nehmen.