Neersen: Ein Böser Geist und armer Wicht im Theater
Mit der Komödie „Das Gespenst von Canterville“ haben die 25. Festspiele in Neersen ganz wunderbar begonnen.
Willich. Schloss Canterville steht an der Cloer! Das glauben Sie mir nicht? Dann empfehle ich Ihnen dringend, in den kommenden Tagen oder Wochen zu den Festspielen nach Neersen zu fahren. Spätestens dann werden auch Sie es lesen können: "Schloss Canterville" steht ganz groß über dem Hauptportal geschrieben.
Eine tolle Komödie haben Intendantin Astrid Jacob und Regisseur R.A.Güther da für die Jubiläumsspielzeit ausgesucht. Die Geistergeschichte nach Oscar Wilde passt so perfekt in die Kulisse des Schlosses wie wohl nur selten zuvor ein Stück in 25 Festspiel-Jahren gepasst hat.
Der Vers über das "goldene Mädchen", das "sündige Lippen zum Beten bringt" - ganz sicher hat er immer schon auf der Fensterscheibe über dem Portal gestanden. Die luftigen grünen Gardinen, die sich geheimnisvoll im Wind bewegen - ganz sicher hingen sie immer schon an den Fenstern. Der Blutfleck auf der Treppe, der immer und immer wieder erscheint - ganz sicher ist er immer schon da gewesen.
Es dauert nur Minuten, dann sind die kleinen und großen Besucher der Premiere gefesselt von der ebenso unheimlichen wie schreiend komischen Geschichte. An deren Beginn fallen die Amis- grellbunt, laut und respektlos - in die heile Welt britischen Landadels ein.
"Amerikaner sind Menschen wie Sie und ich. Nur eben anders", kann Lord Canterville (Manuel Struffolino) noch stöhnen - und schon werden am Schloss seiner Ahnen andere Seiten, besser: Fahnen aufgezogen. Denn unter dem Sternenbanner übernimmt die Gesandten-Familie Otis das Regiment, rückt die rot-weiße Hollywoodschaukel vor die Fassade und geht mit George Dabbeljuh - so heißt ihr Hund - Gassi im Park.
Vom ganzen Trubel wird das Gespenst (von Struffolino mit ebenso "markantem Profil" gespielt) nicht ausgenommen. Seit 300Jahren hat es böse heulend und mit den Ketten rasselnd die Leute erschreckt. Doch diese Amerikaner lassen sich nicht erschrecken.
Im Gegenteil: "Total geil, ein eigenes Gespenst", freut sich Otis-Sohn Washington, während Mutter Lucretia (Ulrike Walther) sofort dem Blutfleck auf der Treppe mit Chemie zu Leibe rückt. Und Vater Hiram B.Otis (Heinz-Hermann Hoff) reicht dem Geist ein Ölkännchen - damit die rostigen Ketten leiser rasseln.
Gnadenlos, schaurig, furchteinflößend - so ist am Schloss der Cantervilles nicht mehr länger der tote Mörder Sir Simon, sondern diese wilde, vulgäre Bande aus Übersee. Das Gespenst kann bei seinem ersten Erscheinen gerade noch ein paar kleine Kinder im Publikum erschrecken, die auf den sichern Schoß von Mama oder Papa flüchten. Doch auch damit ist es bald vorbei: Man lacht über den völlig kopflos umherirrenden Untoten - und hat dann sogar Mitleid mit dem armen Wicht.
Denn auch ganz ruhige, poetische Momente hat die Inszenierung. Wenn der seit 300 Jahren schlaflose Geist sehnsuchtsvoll vom ruhigen Platz unter dem Gras an der Trauerweide erzählt, dann rührt er nicht nur das Herz von Otis-Töchterchen Virginia (Jennifer Kornprobst).
Das Ensemble ist lustvoll bei der Sache. Herausragend in seiner Doppelrolle: Manuel Struffolino, der die Balance zwischen Düsternis, Albernheit und Trauer sicher hält. So richtig schön eklig: Stefanie Breselow als krähenhafte Haushälterin Miss Umney. Und Hendrik Winkler als Washington ist ein echt cooler Typ, dem es mühelos gelingt, das Publikum zum Mitspieler zu machen. "Huibuuuh" schallt es da aus vielen Kehlen vom Schlosshof, wenn das Gespenst selbst erschreckt werden soll.
Jede Menge solcher witzigen Regie-Einfälle und überraschender Pointen hat R.A. Güther eingearbeitet. Luzia Gossmann steuerte dazu ein perfekt passendes Bühnenbild bei. Schon lange hat eine Festspiel-Zeit in Neersen nicht mehr so verheißungsvoll begonnen. Und am Ende des Stücks hegt kein Besucher mehr Zweifel: Schloss Canterville steht an der Cloer!