Hochbegabung in Grevenbroich „Die Kinder, die wir als die intelligentesten getestet haben, hatten oft miserable Noten“

Grevenbroich · Die Grevenbroicherin Diana Haese leitet drei Begabtenzentren für Menschen mit einem besonders hohen IQ.

Zwei bis drei Kinder werden täglich in Wevelinghoven auf ihre Intelligenz gestestet.

Foto: dpa/David Inderlied

„Es gibt auch Kinder, die schon in der Kita lesen, Wurzeln ziehen und den gesamten Globus kennen“, sagt Diana Haese, Leiterin des Begabtenzentrums in Wevelinghoven. Kinder, die bereits im jungen Alter solche Begabungen aufweisen, sind in Grevenbroich bestens aufgehoben. In dem Zentrum am Wevelinghovener Marktplatz führen Haeses 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter täglich Tests zur Diagnostik von Hochbegabungen durch. Die Gründerin Diana Haese, die neben dem Zentrum in Wevelinghoven auch eines in Berlin und ein weiteres in München leitet, erklärt, dass es diese Kinder gewesen seien, die ihre Aufmerksamkeit in ihrer Zeit als Erzieherin besonders erregt haben. Aus diesem Grund habe sie noch ein Studium der Begabtenförderung und Begabungsforschung angeschlossen und sich im Dezember 2008 mit dem Begabtenzentrum in Wevelinghoven schließlich selbstständig gemacht.

Statistisch gesehen gelten etwa zwei von 100 Kindern als hochbegabt. Sie verfügen über einen Intelligenzquotienten von mindestens 130; die meisten Menschen erreichen Werte zwischen 85 und 115. Viele Talente bleiben Haese zufolge aber unerkannt: Während die Eltern mangels Vergleichsmöglichkeiten das rasante Entwicklungstempo ihres Kindes für normal hielten, fehle es den meisten Erziehern an den nötigen Kenntnissen. Dabei benötigen hochbegabte Kinder, genau wie Kinder mit Defiziten in bestimmten Leistungsbereichen, eine besondere Förderung. Für Eltern sei es eine massive Anstrengung, ein hochbegabtes Kind nicht „auszubremsen“, sagt Haese. So müssten Vater oder Mutter ihrem Nachwuchs zum Beispiel ständig neue, komplexe Sachverhalte erklären. „Hochbegabte haben einen enormen Wissensdurst und brauchen oft zwölf bis 16 Stunden am Tag Input“, erläutert die Expertin.

Diana Haese hat das Begabtenzentrum in Wevelingoven im Jahr 2008 gegründet. Seitdem sind Zentren in München und Berlin hinzugekommen.

Foto: Diana Haese

Diesen Input gaben Haese und ihre Kollegen den begabten Kindern früher zeitweise in einer Begabtenförderung in dem Zentrum in Wevelinghoven. „65 Kinder die Woche, die teilweise zwei Stunden anreisen mussten, haben wir hier gefördert.“ In der Umgebung gebe es nicht viele Fördermöglichkeiten für sie, weshalb die Familien teilweise von weit her kamen. Aktuell seien die 14 Mitarbeiter in dem Wevelinghovener Zentrum allerdings allein mit der Diagnostik der Kinder so ausgelastet, dass die Förderung aktuell nicht stattfinde. „Wir erklären den Eltern bei der Auswertung natürlich, welche Fördermöglichkeiten es gibt und was auch die Lehrkräfte tun können.“

Eine nicht diagnostizierte Hochbegabung kann in Haeses Augen schwerwiegende Folgen für das Leben der Kinder haben. Schnell kämen sie in eine Art Abwärtsspirale. „Die Kinder, die wir als die intelligentesten getestet haben, hatten oft miserable Noten“, erzählt sie. Aufgrund der permanenten Unterforderung und Langeweile im Unterricht entwickelten sich Jungen oft zum Klassenclown oder Störenfried. Mädchen hingegen passten sich – um nicht aufzufallen – häufig an ihre Altersgenossen an. Die hochbegabte Erstklässlerin, die schon vor der Einschulung fließend lesen konnte, entziffere dann wieder betont langsam Wort für Wort. Körperliche Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen oder psychische Probleme von Depressionen bis zu Suizidgedanken könnten ebenfalls Folge einer unerkannten Hochbegabung sein.

Um solchen Entwicklungen frühzeitig entgegenzusteuern, plädiert die Expertin für mindestens vier Intelligenztests, denen sich Kinder bis zum 21. Lebensjahr verpflichtend unterziehen müssen. „Vergleichbar mit den U-Untersuchungen gibt es da Zeitpunkte, zu denen das besonders sinnvoll ist“, sagt Haese. Sie hielte den ersten Test im Alter von zweieinhalb Jahren für angemessen. Der Nächste solle dann mit etwa vier Jahren folgen, „um zu überprüfen, ob eine vorzeitige Einschulung sinnvoll ist.“ Auch am Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule hält sie einen Test für sinnvoll. Ein letzter Test solle dann mit 21 Jahren stattfinden, dem Alter, in dem die Intelligenz eines Menschen ihren Höhepunkt erreicht.

Ihren eigenen Intelligenzquotienten kennt die Expertin nicht. Da sie die ganzen Tests schon Dutzende Male durchgeführt habe, wäre das Ergebnis in ihren Augen ohnehin verfälscht. „Online habe ich aber schon verschiedenste Tests ausprobiert. Da war von einer durchschnittlichen Intelligenz bis zur Höchstbegabung alles dabei“, sagt Haese.

(fhi mv)