Polizisten schießen scharf

600 Beamte tragen die Walther P99 als Dienstwaffe. Für den Ernstfall wird an der Jülicher Landstraße trainiert.

Rhein-Kreis Neuss. Ein lauter Knall peitscht durch den Schießkeller. Mit ruhiger Hand trifft Holger Goertz über Kimme und Korn ins Schwarze. Der Polizeikommissar und sieben Kollegen trainieren das so genannte Lagenschießen an der Jülicher Landstraße. Obgleich kaum ein Polizist im Dienst je zu seiner Pistole greifen wird - und es für die meisten auch eine eher unangenehme Vorstellung ist - muss der Umgang mit der Waffe regelmäßig trainiert werden.

Geleitet werden die Übungen von Peter Reuters, Axel Nöcker und Daniela Luppus, drei von sechs Einsatztrainern bei der Kreispolizei. Insgesamt gibt es 600 Waffenträger bei der Behörde. Der Waffengebrauch ist für einen Polizisten eher die Ausnahme. Deshalb müssen die Kollegen am Schießstand regelmäßig an die im Notfall überlebenswichtige Routine erinnert werden. 24 Stunden Einsatztraining pro Jahr absolviert jeder Beamte. Darunter fällt auch die jährliche Schießübung mit Prüfung.

Verschiedene Einsatzszenarien stehen an diesem Übungstag auf dem Programm. Erst wird mit der Walther P99 aus sechs Metern, dann aus vier Metern auf die projizierten Körper geschossen. Für Goertz kein Problem. Auch der Rest der Truppe trifft gut.

Die P99 hat ein Magazin von 15 Schuss im Kaliber 9 mm. Ihr großer technischer Vorteil: Sie schützt Polizisten und Täter wesentlich besser vor unbeabsichtigt abgefeuerten Schüssen als ihre Vorläufermodelle. Früher musste der Abzug nur beim ersten Schuss mit hoher Kraft gezogen werden, danach war der Schlagbolzen vorgespannt. "Ab dem zweiten Schuss galt es nur noch, einen leichten Druckpunkt zu überwinden. Bei der P99 muss der Bolzen bei jedem Schuss mit hohem Kraftaufwand neu gespannt werden", erklärt Reuters.

Im Anschluss an jede Schießübung werden die Löcher in der Leinwand überklebt. Hinter der Wand hängt ein Geschossfang aus Metall und ein Rückprallschutz. Der sorgt dafür, dass kleine Partikel des Geschosses nicht zurückfliegen. Eine Kamera zeichnet jeden Schuss auf, damit die Trainer die Schützen besser analysieren können.

Peter Reuters, Ausbilder

"Die Waffe liegt gut in der Hand, ist individuell auf die Handgröße abstimmbar, und das Visieren mit Leuchtpunkten erleichtert das Zielen im Dunkeln", zählt Goertz auf und schiebt die P99 zurück ins Holster. Der Kommissar kann die Pistole nach Dienstschluss mit nach Hause nehmen, eine sichere Verwahrung vorausgesetzt. Die meisten lassen aber ihre Waffe in speziellen Fächern in der Dienststelle.

"Der eigentliche Sinn der Waffe ist, sie nur im absoluten Notfall einzusetzen. Wir trainieren für den Tag X", sagt Peter Reuters (34), der seit zwei Jahren die Kollegen im Rhein-Kreis Neuss fortbildet. Trotz der Adrenalinüberflutung in einer Gefahrensituation muss ein Polizist richtig reagieren. "Das Problem ist die schnelle Entscheidung - schießen oder nicht schießen."

Längst hat sich die Ausbildung gewandelt - vom banalen Scheibenschießen zum praxisnahen Schießtraining mit interaktiven und einsatztaktischen Sequenzen. Seit mittlerweile drei Jahren trainieren die Beamten im neuen Trainingsraum an der Jülicher Landstraße.

Dort, im Schießkino, werden die Polizisten mit realistischen Szenen konfrontiert. Ein Mann macht sich an einem silberfarbenen Audi TT zu schaffen, er hat ein Messer in der Hand... "Das heißt aber nicht, dass gleich geschossen werden darf", sagt Reuters. Damit der Polizist in der Gefahrensituation richtig handeln kann, muss der Umgang mit der Waffe fast automatisch ablaufen. "Das beherrscht eben nur, wer regelmäßig übt."

Rund 40-mal schießt jeder Polizist während einer Trainingsstunde. Dabei werden technische Probleme bewusst eingebaut. Im Ernstfall darf eine Ladehemmung nicht zu zusätzlicher Nervosität führen. Durch so genannte Dummys - ins Magazin zwischen scharfe Munition geschmuggelt - lernt der Schütze, auch in prekärer Situation einfach nochmals durchzuladen.

Konsequenterweise geht es im Training nicht nur darum, bestimmte Leistungskriterien zu erfüllen, sondern auch um Vermeidungsstrategien, den schnellen Magazinwechsel, um optimierte Kommunikation und feste Verhaltensmuster.

"Das Schießtraining der Kollegen ist daher in der Regel auch immer ein Nicht-Schießtraining", betont Polizeisprecher Bernd Schmutzler, Leiter der Fortbildungsstelle. Drei so genannte Schusswaffengebräuche wurden im Jahr 2007 registriert. Bei allen drei Einsätzen wurde auf Tiere - etwa nach einem Wildunfall - geschossen.

Die P99 ist nicht die einzige Waffe, die zur Ausrüstung jedes Beamten gehört. Hochwirksames Pfefferspray mit sechs Metern Reichweite hat den alten Schlagstock ersetzt. Wovor hat ein Polizist mehr Angst: vor dem Schuss oder den Konsequenzen danach? "In der Situation selbst denkt man nicht darüber nach, was später ist", meint Reuters. Kommt es doch zu einem belastenden Einsatz, wird der Schütze psychologisch betreut.

Im vorigen Jahr wurden insgesamt 60.000 Patronen verbraucht. Alle Schützen haben am Ende des Tages nur einen Wunsch: "Hoffentlich müssen wir im Dienst unsere Waffe nie benutzen."