Die Schuldenbremse kann nur versagen
Die geplante Grundgesetzänderung ist pure Kosmetik.
Man muss ja nicht gleich das Bild des Süchtigen bemühen, der "Nie wieder Alkohol!" schwört und sich zur Feier des Tages einen kräftigen Schluck aus der Pulle gönnt. Überlassen wir diese nette Bösartigkeit ruhig dem Karikaturisten und wenden uns lieber einer Situation zu, die wir alle kennen: Da stehen die leckeren Bergischen Waffeln mit Kirschen und Sahne vor uns auf dem Tisch.
Sie sind ohne Zweifel geeignet, unsere nach den Festtagen ohnehin etwas gedehnte Figur gänzlich aus den Fugen gehen zu lassen. Trotzdem greifen wir kräftig zu - und beruhigen uns sofort, noch genüsslich kauend, mit dem Schwur, von kommender Woche an keine Waffeln mehr anzurühren. Wir nehmen uns eine ganz strenge Diät vor, jetzt, da wir pappensatt sind. Das ist in etwa so glaubwürdig wie die geplante Schuldenbremse im Grundgesetz, jetzt, da die Koalition eine Rekordneuverschuldung beschlossen hat.
Nun ist es natürlich ein Unterschied, ob ich mit mir selbst eine Diät vereinbare oder ob ich etwas ins Grundgesetz schreibe. Letzteres wäre prinzipiell einklagbar. Wenn der potenziell zu Verklagende aber schon vorher eine schöne Ausnahmeregel schafft, die am Ende die Ausnahme zur Regel macht, handelt es sich nur um Kosmetik. Was also soll die Schuldenbremse?
Wenn künftige Regierungen keine neuen Schulden aufnehmen wollen, dann ist das eine - vernünftige - politische Entscheidung, die die Schuldenbremse überflüssig macht. Wenn aber künftige Regierungen neue Schulden aufnehmen wollen, dann lassen sie den Bundestag einfach beschließen, dass es sich um eine "Notsituation" handelt und schalten die Schuldenbremse so aus. Das führt uns zurück zu den Waffeln. Die darf ich eigentlich nicht essen. Aber weil ich so großen Hunger habe ("Notsituation!"), tue ich es eben doch.
Übrigens: Mit Artikel 115 im Grundgesetz gibt es bereits eine funktionslose Schuldenbremse. Einziger Unterschied ist, dass die Regierung sie direkt außer Kraft setzen kann, ohne Parlamentsbeschluss. Aber selbst das ist irrelevant, weil ein Haushalt ohnehin immer vom Parlament beschlossen werden muss.
Die Politik bleibt in der Verpflichtung, sich selbst zu zügeln: beim Schuldenmachen ebenso wie bei der Versuchung, das Grundgesetz zu missbrauchen.