Traditionen in Nettetal Das 40-stündige Gebet zu Karneval

<irwordspace style="word-spacing 003125em;"><irglyphscale style="font-stretch 102%;">Hinsbeck/Leuth </irglyphscale></irwordspace> · 40 Stunden beten, anstatt zu feiern – das galt rund 100 Jahre lang in Hinsbeck und Leuth. Angeordnet hatten dies Geistliche. Doch die Bürger ließen sich das tolle Treiben nicht nehmen – und kamen auf eine findige Idee.

„Bumbas-Club aus Hinsbeck-Hombergen“ etwa 1910. Teilnehmer stehend (v.l.) Johann Nießen, Hubert Meiners, Johann Beyen, unbekannt, Matthias van de Burg, Adolf Beyen (mit Bumbas), Wilhelm Steinbergs. Sitzend (v.l.): Josef Beyen und Johann van de Burg.

Foto: Heinz Koch

In den heutigen Nettetaler Stadtteilen Hinsbeck und Leuth, die damals noch zum Kreis Geldern und zum Bistum Münster gehörten, wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Obrigkeit ein Karnevalsverbot erlassen. Stattdessen gab es an diesem Wochenende ein 40-stündiges Gebet, das auf alle Karnevaltage verteilt wurde. Diese Regelung bestand in Hinsbeck bis 1969 beziehungsweise in Leuth bis 1980. Hier hat sich bis heute die Feier des Weiberkarnevals eine Woche vor dem Karnevalswochenende erhalten.

Fastnacht ist ein alter Brauch, der schon im Mittelalter bekannt war. Gefeiert wurde zunächst überwiegend in adeligen Häusern. Ab Ende des 18. Jahrhunderts fand auch ein Straßenkarneval statt, bei dem reiche Bürger und Geistliche mit Spottversen bedacht wurden. Während der napoleonischen Zeit wurde das Brauchtum Karneval jedoch verboten.

Nach dem Abzug Napoleons etablierte sich der Karneval langsam wieder in den Städten und kleineren Orten am Niederrhein. Doch in Letzteren herrschten strengere Moralvorstellungen. Die zunehmenden Ausschweifungen in der Karnevalszeit waren der Obrigkeit und der Geistlichkeit ein Dorn im Auge. Daher führte man in einigen Orten ab ungefähr 1840 das bis dahin in der Karwoche praktizierte 40-stündige Gebet auch am Karnevalswochenende ein. 40 Stunden, die Jesus im Grab gelegen haben soll.

Ausschnitt aus dem Bild „Bumbas-Club von 1910“: Adolf Beyen mit der Bumbas-Teufelsgeige.

Foto: Heinz Koch

Insbesondere das Bistum Münster war hierin führend. 1860 stifteten der Graf von Schaesberg sowie einige reiche Bauern der Kirche ein großes Kapital, mit dessen Zinsen ein 40-stündiges Gebet am Karnevalswochenende finanziert werden sollte. Gegen den Protest des damaligen Bürgermeisters Christian Nimmendorff, der Nachteile für die heimische Wirtschaft sah, wurde die Stiftung vom Kirchenvorstand angenommen. Erstmals galt diese Order 1866, Hinsbeck war von nun an ohne Karnevalsveranstaltung.

In Leuth wurde 1868 von Pfarrer Knippen und dem Grafen von Schaesberg ein entsprechender Antrag gestellt. Mit den Zinsen aus dieser Stiftung fand auch in Leuth ab 1869 anstelle des Karnevals ein 40-stündiges Gebet statt. An diese Regelung hielt man sich in Hinsbeck und Leuth mehr als 100 Jahre, obwohl die Wirtsleute sie immer wieder infrage stellten.

Karnevalsprinz 1935 in der Schlöp Jakob Dückers (Mitte) mit den Adjutanten Theo Reichen (l.) und Hermann Hamacher.

Foto: Heinz Koch

Um 1900 gab es erste Tendenzen, diese Order durch Vorkarneval zu umgehen. Damals zogen an den Wochenenden vor Karneval Musikgruppen durch den Ort. Bei dieser „Musik“ kam es weniger auf deren Qualität, sondern auf die Lärmerzeugung an. Eines dieser „Lärm-Musik-Instrumente“ war der „Bumbas“, auch „Vuu“ oder Teufelsgeige genannt. Sie bestand aus einem zwei Meter hohen Stock, an dem oben Deckel oder Schellen befestigt waren, die beim Aufstoßen Lärm erzeugten. Im unteren Bereich war eine aufgeblasene Schweinsblase angebracht, über die von oben nach unten Katzendärme gespannt wurden. Mit einem geriffelten Stock wurden die Därme in Schwingung gebracht und erzeugten durch ihren Kontakt mit der Blase Musik.

Den ersten Karnevalsabend in der Vorkarnevalszeit hielt 1926 der Leuther Kirchenchor im Lokal der Witwe Franz Dückers. In bunten Kostümen gab es eine Karnevalsfeier, der sich in den folgenden Jahren auch andere Vereine anschlossen.

In Hinsbeck organisierte 1927 der Turnverein im Saal Willi Franken erfolgreich die erste Vorkarnevalsfeier. Bereits ein Jahr später gab es drei Vorkarnevalsabende verschiedener Veranstalter, 1928 schon sechs und ab 1929 jährlich an vier Wochenenden etwa 15 Veranstaltungen. Veranstalter waren Turnverein, Gesangsverein Eintracht, Radfahrverein Staubwolke, Musikverein Cäcilia und katholische Vereine. Gefeiert wurde im Bahn-Restaurant Coenen (Bahnstraße, Saal gegenüber der damaligen Gaststätte Küppers), Pauelsenhof (Oberstraße), Schützenhaus Witter (Glabbach) sowie in den Sälen Rollbrocker und Franken (Markt), Hartoge (Schloßstraße) oder Pallerberg (Wevelinghoven, heute Timmermanns). Dank des regen Zulaufs von Besuchern aus der ganzen Umgebung war aus dem Nachteil ein wirtschaftlicher Vorteil geworden. Das Ganze gipfelte 1934 in einem ersten Hinsbecker Karnevalsumzug sowie 1935 mit einem Fastnachtsumzug durch die Honschaft Schlöp mit dem Fastnachtsprinzen Jakob I. (Dückers), damaliger Wirt des heutigen Restaurants „Secretis“. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren diese Aktivitäten vorbei.

Nach 1945 nahmen die Hinsbecker Vereine die Aktivitäten des Vorkarnevals wieder auf. Nach und nach erhöhte sich die Zahl der Veranstalter, um 1970 gab es sieben Veranstalter mit insgesamt zehn gut besuchten Abenden. Ein gutes Geschäft für die Vereine und Gaststätten.

Im Frühjahr 1969 wurde dann das 40-stündige Gebet in Hinsbeck abgeschafft und auf den März verlegt. Die Veranstaltungen im Vorkarneval hielt man jedoch noch einige Jahre aufrecht, sie waren zu lukrativ. In Leuth blieb das 40-stündige Gebet noch bis 1980 erhalten. Die Leuther Altweiber-Veranstaltung am Donnerstag vor dem Karnevalswochenende ist ein Relikt aus dieser Zeit.