Altkanzlerin Angela Merkel spricht beim Neujahrsempfang der NRW-CDU am Düsseldorfer Flughafen Die fast schon vergessene Merkel-Raute

DÜSSELDORF · . Groß denken – das scheint das Motto der NRW-CDU zu sein – wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Zum Neujahrsempfang hatte man die alles andere als bescheidene Zahl von 1300 Gästen geladen. In eine Halle am Düsseldorfer Flughafen, durch deren Glasdach man hinter dem Rednerpult Flugzeuge in den Himmel steigen sah.

Hendrik Wüst (hinten links, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Paul Zimiak (hinten, rechts), CDU-Generalsekretär, mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Auf der großen Leinwand ist die fast schon vergessene Merkel-Raute zu sehen.

Foto: dpa/Roberto Pfeil

Als Ehrengast war nicht etwa der von der NRW-CDU als Spitzenkandidat nominierte Friedrich Merz geladen, sondern die diesem in gepflegter Distanz verbundene Parteifreundin und ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Um Stirnrunzeln der Gäste aus Politik, Wirtschaft und Verbänden über die gleichzeitige Abwesenheit des Sauerländers Merz zu zerstreuen, entschuldigt Ministerpräsident Hendrik Wüst diesen in seiner Rede. Merz treffe sich in Berlin mit christdemokratischen und bürgerlichen Regierungschefs, um sich mit diesen strategisch auf die neue Amtszeit des alten und neuen US-Präsidenten Donald Trump einzustellen.

Anekdote zu
Trump parat

Zu Trump hat Wüst diese Anekdote parat: Vor ein paar Wochen habe er mit einem amerikanischen Gouverneur gesprochen, einem Republikaner. Und diesen habe er gefragt: „Was haben wir von Donald Trump zu erwarten?“ Die Antwort des Amerikaners: „Macht euch keine Sorgen, er wird tun, was er angekündigt hat.“ Seine Sorgen seien in dem Moment nicht kleiner geworden, sagt Wüst.

Auf Deutschland und Europa komme nun eine große Verantwortung zu. Die neue Bundesregierung brauche einen Bundeskanzler, der dafür sorge, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht werde, sagt der NRW-Ministerpräsident. Und: „Nur Friedrich Merz ist der Richtige für diese Aufgabe.“ Olaf Scholz sei vom ersten Tag an der falsche Kanzler gewesen.

Bevor Wüst das Wort an die Bundeskanzlerin a.D. übergibt, kommt ein beeindruckender Chor auf die Bühne. Der Kölner Jugendchor St. Stephan. Jugendliche in verschieden farbigen Hoodies, deren Chorleiter genau weiß, welche Lieder sie bei so einer CDU-Veranstaltung anstimmen müssen. Zu Beginn zwei christliche Stücke – Halleluja von Leonard Cohen. Und den Jesus lobpreisenden Gospel-Song „Oh Happy Day“. Am Ende der Veranstaltung dann die Europahymne „Ode an die Freude“, gefolgt von der deutschen Nationalhymne. Viel Pathos, aber beeindruckend inszeniert. Und dazwischen, vor Merkels Auftritt, ein besonderes Geschenk des Chors an die ehemalige Kanzlerin, von dem sie sich sehr berührt zeigt. Die Jugendlichen haben das alte Stück von Nina Hagen: „Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael“ einstudiert. Wir erinnern uns: Merkel hatte sich das Lied zu ihrem Abschied beim Großen Zapfenstreich gewünscht. Das Stabsmusikkorps traf im Jahr 2021 zwar die Töne, aber der Auftritt damals war schon recht schräg. Das macht der Chor an diesem Tag viel besser.

Eine sichtlich angefasste Angela Merkel bedankt sich und sinniert noch kurz darüber, ob die singenden Jugendlichen denn wohl wissen, was ein Farbfilm ist. Mit Blick auf ihren einstigen Widersacher Friedrich Merz ist die Altkanzlerin nicht gerade euphorisch, liefert aber pflichtgemäß das von ihr Erwartete ab. Sie wünsche, dass die Union stärkste Kraft bei der Bundestagswahl wird und dass Friedrich Merz das Mandat erhalte, Bundeskanzler zu werden.

Das war es dann auch schon zu dem Thema, sie wendet sich grundsätzlicheren Fragen zu. Mit Blick auf die Herausforderungen, Stichwort Trump und Putin, sei die transatlantische Partnerschaft unverzichtbar. „Wir werden nur gemeinsam mit den USA und der Nato erreichen, dass Putin diesen Krieg nicht gewinnt“, sagt Merkel mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mit Trump hat sie so ihre eigenen Erfahrungen, die sie so zusammenfasst: „Wir haben es hier mit einem besonderen Präsidenten zu tun. Er glaubt nicht an Win-Win-Situationen. Er glaubt, es gibt immer einen Sieger und immer einen Verlierer.“ Sie sehe das anders, man müsse zusammenarbeiten, Kompromisse finden. Auf diese Weise lasse sich für alle mehr gemeinsam erreichen als nur für sich allein. „Wir können Trump nicht ändern, aber wir können darauf reagieren – mit einer Bündelung der Interessen. Die EU ist unsere Lebensversicherung“, mahnt sie.

Nachdenklich wird Merkel mit Blick auf die innere Verfasstheit des Staates, in dem sich das Volk nicht auseinanderdividieren lassen dürfe. Merkel zitiert den früheren Verfassungsrichter Ernst-Ulrich Böckenförde, der einmal gesagt hatte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“

Merkel führt das aus: Der Staat funktioniere nur so lange, wie die Bürger bereit seien, den demokratischen Staat als legitim anzuerkennen. Auch in kritischen und schwierigen Zeiten. Der Staat sei darauf angewiesen, dass seine Bürger ihm aus freien Stücken vertrauen und bereit seien, sich zu beteiligen.

Die ehemalige DDR-Bürgerin erinnert an die Zeit vor dem Mauerfall. „Die friedliche Revolution in der DDR fand statt, weil die Bürgerinnen und Bürger sich in ihrem Staat nicht zuhause fühlten, sich nicht entfalten konnten. Auch heute werde oftmals Verantwortung beim Staat und sogenannten Eliten abgeladen. Ein solches Denken dürfe sich nicht durchsetzen, „denn der Staat, das sind wir alle, Freiheit und Verantwortung gehen zusammen“.

Das Volk dürfe sich nicht in zwei Teile spalten lassen. Auch die beste Politik allein funktioniere nicht, „wenn wir uns nicht als Bürger alle der eigenen Verantwortung bewusst sind“. Es sei wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger möglichst vielzählig mitmachen. „Sonst werden wir das, um ein Wort aus meinem Repertoire zu gebrauchen, nicht schaffen.“

Eine große Herausforderung sieht Merkel auch mit Blick auf die Sozialen Medien. „Es bedarf Leitplanken des Staates mit Blick auf Hassbotschaften oder Falschmeldungen.“ Betreiber von Plattformen seien hier in die Verantwortung zu nehmen. „Der Staat darf nicht zusehen, dass niemand die Verantwortung für Botschaften übernimmt, die sich als falsch, hetzerisch oder hasserfüllt erweisen.“ Andernfalls würden die demokratischen Grundlagen zersetzt.“ Man dürfe nicht hereinfallen auf das Argument, hier werde Meinungsfreiheit beschnitten. Verleger und Zeitungsmacher seien doch auch verantwortlich für ihre Publikationen. Was in der realen Welt gilt, könne in der digitalen Welt nicht falsch sein. „Wahrheit muss auch im Zeitalter der Digitalisierung Wahrheit bleiben.“ Standing Ovations und Bravo-Rufe für die Altkanzlerin. Und auf der großen Leinwand hinter der Bühne ist sie zu sehen – die fast schon vergessene Merkel-Raute.