„Die Verrohung in der Gesellschaft nimmt zu“ Vandalismus vor der Bundestagswahl
<irglyphscale style="font-stretch 97375%;">Kreis Viersen</irglyphscale> · Vor der Bundestagswahl haben auch die Parteien im Kreis Viersen mit Vandalismus zu kämpfen. Wahlplakate werden abgerissen oder gestohlen, in der Nacht zu Donnerstag wurde die Kreisgeschäftsstelle der CDU in Viersen beschmiert. Wie die Parteien damit umgehen.
Kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar wird der Umgangston in der politischen Auseinandersetzung rauer. Und es bleibt nicht bei Worten, die in den sozialen Medien gewechselt werden. Einige Menschen schrecken vor Zerstörung nicht zurück. Das bekommen auch Parteien im Kreis Viersen zu spüren. Wahlplakate werden beschmiert, abgerissen oder gestohlen. In der Nacht zu Donnerstag wurde die Kreisgeschäftsstelle der CDU in Viersen beschmiert: Mehrfach wurde das Wort „Schande“ in roter Farbe an die Fassade gesprüht.
„Die Hürde für Vandalismus hängt sehr tief“, sagte CDU-Kreisgeschäftsführer Stephan Seidel. Immer wieder erhalte die CDU im Kreis Viersen Meldungen, dass Plakate abgerissen worden seien. In den vergangenen zehn Tagen – also seit der gemeinsamen Abstimmung der Union mit der AfD über den Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag – gebe es bundesweit eine Vandalismus-Kampagne gegen die CDU.
Nach der Attacke auf die Kreisgeschäftsstelle reagierte die CDU mit der Einladung zu einer „kurzen, aber bedeutungsvollen ,Mahnwache’“ vor der Geschäftsstelle am Nachmittag, „um für unsere Werte und die Demokratie einzustehen“. Der Gipfel der Polarisierung habe nun auch im „beschaulichen Viersen“ den Nährboden für Vandalismus und Extremismus gefunden. Die Geschäftsstelle sei über Nacht beschmiert, verunstaltet und in Teilen auch zerstört worden. „Aber für uns ist klar: Wir lassen uns von den Chaoten und Vandalen in diesem Land unsere Politik, unsere Werte und unsere Haltung nicht diktieren.“
Unterstützung kam umgehend von der SPD im Kreis Viersen, die der CDU ihre Solidarität aussprach und schnelle Aufklärung forderte. Der Angriff auf die CDU-Geschäftsstelle habe „in einer freien und demokratischen Gesellschaft keinen Platz“, hieß es dazu von der SPD. Solche Taten seien keine Bagatellen, sondern klare Grenzüberschreitungen: „Trotz aller politischen Differenzen müssen wir zusammenstehen, um solche Straftaten zukünftig zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.“
Mit der Zerstörung von Wahlplakaten oder jetzt mit dem Beschmieren der CDU-Geschäftsstelle würden Grenzen verletzt, sagte der Bundestagsabgeordnete Udo Schiefner, Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Viersen. „Man kann mir ja sagen, dass ich politisch falsch unterwegs bin“, so Schiefner, „aber was ich mir teilweise anhören muss, ist menschenverachtend.“ Beschimpfungen und Zerstörungen seien Ausdruck einer Verrohung von Teilen der Gesellschaft, die meinten, sich damit Luft verschaffen zu können, „das empfinde ich auch persönlich als sehr bedrückend“, so Schiefner.
Auch sein CDU-Bundestagskollege Martin Plum mahnte eine andere Debattenkultur an: „Das ist ein Angriff auf die politische Kultur. Man darf immer in der Sache Diskussionen führen, aber solche Schmierereien auf Plakaten oder der Geschäftsstelle vergiften das politische Klima.“
Besonders Großplakate sind Ziel von massivem Vandalismus
Birgit Jahrke, Geschäftsführerin der FDP im Kreis Viersen, spricht von massiver Gewalt gegen die sogenannten Wesselmänner – das sind die Großplakate, die von der Firma Wesselmann aus Bochum-Wattenscheid für viele Parteien produziert werden. Diese seien an Stahlrohrrahmen befestigt und mit Stangen versehen, womit die Aufsteller am Boden verankert würden, so Jahrke, „die werden so kaputt gemacht, dass wir sie zum Teil überhaupt nicht mehr aufstellen können“. Dafür brauche man viel Kraft, erklärte Jahrke, dafür müssten wohl mehrere am Werke sein, einer allein schaffe das gar nicht.
„Die Verrohung in der Gesellschaft nimmt immer mehr zu“, so Jahrke. Das merke man seit Freitag sehr deutlich. Am Freitag hatte ein Teil der FDP-Fraktion im Bundestag nicht mit für die Vorlage zum Zustrombegrenzungsgesetz gestimmt, auch CDU-Stimmen fehlten, so dass das Vorhaben trotz Unterstützung der AfD scheiterte. „Da prallen Meinungen aufeinander, aber das muss man aushalten“, so Jahrke und fügt mit Blick auf die jüngsten Zerstörungen an: „Die Zündschnur ist extrem kurz.“
Auch die Grünen im Kreis Viersen haben mit Beschädigungen an Plakaten zu kämpfen. Nicht alle Fälle melde man, sagte Kreisgeschäftsführerin Nicole Marquardt, sonst müsse man die Polizei ja ständig damit beschäftigen, „wir melden nur Fälle beim Staatsschutz, in denen beispielsweise rassistische Parolen aufgebracht werden“. Die Plakate kosteten Arbeit und Geld, man besorge mehr Exemplare als nötig, um bei Zerstörungen einzelne zu ersetzen, „aber man fragt sich immer, wie viele man extra kaufen soll“. Auch sie mahnt eine sachliche Auseinandersetzung an: „Ich glaube, dass ein Teil unserer Gesellschaft verlernt hat, andere Meinungen auszuhalten. Das ist Wut und mangelndes Können, in einen Austausch zu gehen.“
Vom Plakat-Vandalismus sind mehrere Parteien im Kreis Viersen betroffen. Auch die AfD registriert Zerstörungen, Schmierereien und Diebstähle von Plakaten, etwa 15 bis 20 Prozent seien betroffen, so ein Sprecher der AfD. In einigen Fällen habe man Strafanzeige gestellt.
Nach Kenntnis des Staatsschutzes wurden im Kreis Viersen bislang mindestens 32 Wahlplakate zur Bundestagswahl beschädigt: sieben von der SPD, eines von der CDU, sieben von der FDP, vier von den Grünen, sechs vom Bündnis Sahra Wagenknecht sowie sieben von der AfD.
Gestohlen wurden in Schwalmtal auch Plakate, die die vier im Gemeinderat vertretenen Parteien – CDU, SPD, FDP und Grüne – gemeinsam hatten anfertigen lassen. In Schwalmtal ist es seit Jahren gängige Praxis, dass die Parteien gemeinsam ihre Plakate an wenigen großen Plakatwänden anbringen, die der Bauhof der Gemeinde zur Verfügung stellt. Zusätzlich werden auch einige Großplakate aufgestellt, doch in Schwalmtal hatten sich die Parteien darauf geeinigt, nicht das gesamte Gemeindegebiet mit Wahlplakaten überziehen zu wollen.
Als die AfD ihre Plakate an Laternen im Gemeindegebiet aufhängte, schlossen sich die vier Ratsparteien zusammen und nahmen von ihrem Plan, nicht überall an Laternen Plakate aufzuhängen, Abstand: Sie ließen Plakate drucken, die sie direkt unter den AfD-Plakaten an die Laternen hängten. Auf Balken in Schwarz, Rot, Gelb und Grün war darauf beispielsweise „Nie wieder ist jetzt“ zu lesen.
Am Sonntag seien nun diese Plakate gestohlen worden, teilten die vier Parteien mit. Sie hätten Anzeige erstattet, die zuständigen Behörden ermittelten. Von dem Diebstahl ihrer gemeinsamen Plakate wollten sich die vier Parteien aber nicht abschrecken lassen. Sie hatten schon wieder einen gemeinsamen Termin vereinbart, um neue Exemplare anzubringen und damit ihre Haltung weiterhin deutlich zu machen.