Geschichte: Von den Ereignissen überrollt

WZ-Serie: 1933 raten sogar katholische Geistliche zum Eintritt in die NSDAP. Währenddessen werden Andersdenkende aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Der Dritte Teil der Serie "Kempen unterm Hakenkreuz".

Kempen. 20. April 1933: Heute ist der Geburtstag des "Führers", und an einer ganzen Reihe von Kempener Häusern hängen schon Hakenkreuzfahnen.

Die Bürger sind größtenteils gutgläubig und haben mit Politik nicht viel am Hut. Die meisten vertrauen darauf, dass es jetzt mit Deutschland aufwärts geht, wie Rundfunk und Zeitung es überzeugend darstellen. Das totalitäre, zum Teil sogar verbrecherische Gedankengut der inneren NSDAP kennen sie nicht - wer hat im katholischen Kempen vorher schon das verpönte Buch "Mein Kampf" gelesen?

Endlich scheint jemand in Sicht, der durchgreift, der es schaffen könnte, die Massenarbeitslosigkeit abzubauen - sind das denn nicht Ziele, für die man die ungeliebte Republik, die man bisher vor allem als Schwäche und Chaos erlebt hat, aufgeben kann?

Vor allem aber: Am 28.März 1933 hat die Fuldaer Bischofskonferenz ihre Loyalität für die neue Regierung erklärt. Zeichen eines Gesinnungswandels, der in Kempen einen tiefen Eindruck hinterlässt.

Hier ist es vor allem Dr.Friedrich Flinterhoff, Kaplan und Studienrat am Thomaeum- er unterrichtet Religionslehre, Latein und Hebräisch- , der unter seinen katholischen Mitbürgern für die Hitler-Partei Stimmung macht. Beispielsweise hält er am 20. April 1933 auf Antrag der Kempener NSDAP-Ortsgruppe und mit Genehmigung des Aachener Bischofs in der Propsteikirche eine Messe zum Geburtstag Adolf Hitlers ab.

Dass Flinterhoff Verfasser religiöser Bücher ist, weiß in Kempen kaum jemand. Die katholischen Vereine schätzen ihn als mitreißenden Redner; die Bürger bewundern ihn ob seines sozialen Engagements für die schlechter Gestellten- ihnen stiftet er den größten Teil seines Gehalts.

"Fritz" Flinterhoff, wie er in Kempen liebevoll genannt wird, bemüht sich, Christentum und nationalen Sozialismus, wie er ihn versteht, zu vereinen; seine Werbewirkung für die NSDAP vor Ort kann gar nicht überschätzt werden.

Selbst Kempens höchster Geistlicher Wilhelm Oehmen, ab 1935 Propst, rät einflussreichen Katholiken zum Eintritt in die Hitler-Partei, um diese zu unterwandern; so soll verhindert werden, dass überzeugte Nationalsozialisten ihre Positionen übernehmen.

Indes: "Der Rat der Kirche sollte sich als naiver Irrtum erweisen", hat später in seinen Lebenserinnerungen der damalige AOK-Leiter Franz Clösges über seinen alles andere als freiwilligen Eintritt in die NSDAP resümiert.

Waren die Menschen damals naiv? Richtig ist, dass die meisten dem Elan und Ideenreichtum, vor allem aber der offenen Brutalität der skrupellosen Newcomer nichts entgegenzusetzen hatten und von den Ereignissen schlicht überrollt wurden.

Die NSDAP war deshalb so dynamisch, weil sie Deutschlands erste Volkspartei war: Ihre Mitglieder kamen aus allen Berufen und Schichten. Die meisten waren jung; sie schienen die Zukunft für sich zu haben.

Die Bevölkerung wird politisch ausgerichtet; ein schleichender Prozess der Gleichschaltung setzt ein. In der Flut der propagandistisch gelenkten Nachrichten wird kaum bemerkt, dass in der dritten Märzwoche 1933 der Direktor des Kempener Arbeitsamtes, Dr.Heinz Ströhmer, Möhlenring 67, beurlaubt wird. Sein Stellvertreter und Nachfolger Hans Türk wird knapp zwei Wochen später suspendiert, gleichzeitig werden zwölf weitere Angestellte der Behörde entlassen.

An ihre Stelle treten nun zuverlässige Parteigenossen. In der Folge wird das Arbeitsamt an der Wiesenstraße zur Versorgungseinrichtung für verdiente Nationalsozialisten, zu einer Art Stützpunkt von SA-Leuten.

Folge 4: Adolf Hitler wird zum Kempener Ehrenbürger ernannt.